Eine Frau in der Haut eines Homosexuellen

 Iris Murdoch 1977, im Jahr ihrer beginnenden Alzheimer-Erkrankung.
Iris Murdoch 1977, im Jahr ihrer beginnenden Alzheimer-Erkrankung.(c) imago images / Leemage (imago stock&people)
  • Drucken

Sie bereitete Gender-Diskussionen vor, wurde als Porträtistin extremer Liebe, als Canetti-Geliebte und als Alzheimerkranke berühmt: Die Schriftstellerin und Philosophin Iris Murdoch wäre heute 100 Jahre alt.

Es gibt nicht viele Persönlichkeiten, die als Moralphilosophen und bemerkenswerte Schriftsteller Karriere machen. Die anglo-irische Autorin Iris Murdoch war beides. In ihrem bis heute lesenswertesten Roman „Das Meer, das Meer“, der 1978 den Booker Prize erhielt, sagt die männliche Hauptfigur den auch für Murdoch typischen Satz: „Natürlich ist Lesen und Denken wichtig, aber, mein Gott, Essen ist es auch.“ Mag Iris Murdoch auch einiges zu viel geschrieben haben, ihre besten Bücher pulsieren vor Lebendigkeit. Fast immer geht es, mit großem Interesse am Innenleben der Figuren, um extreme Formen von Liebe und Begehren, oft um einen innerseelischen Kampf: zwischen dem Streben nach Macht und Kontrolle in einer Beziehung und dem Versuch, eine davon befreite, klare Sicht auf den anderen zu gewinnen. Hier begegnen sich die Philosophin und die Schriftstellerin. „Liebe ist die äußerst schwierige Erkenntnis, dass etwas anderes als man selbst wirklich ist“, heißt es einmal. „Liebe ist die Entdeckung der Wirklichkeit.“

Affären mit Männern und Frauen

Heute wäre Iris Murdoch 100 Jahre alt, einst gehörte sie zu den erfolgreichsten englischsprachigen Schriftstellern, heute kennen ihren Namen nur noch wenige. 1919 in Dublin geboren, wuchs sie in London auf und studierte unter anderem beim deutsch-britischen Altphilologen Eduard Fraenkel in Oxford (wo sie später eine Philosophieprofessur bekam und einen Schreibtisch, der einst dem ebenfalls in Oxford beheimateten „Herr der Ringe“-Autor J. R. R. Tolkien gehört hatte). Sie promovierte in Cambridge bei Ludwig Wittgenstein, ihr erstes Buch war die erste englischsprachige Monografie über Sartre. 1956 heiratete sie den Literaturprofessor John Bayley, mit dem sie bis zu ihrem Tod 1999 verheiratet blieb. Die Ehe war von tiefer Zuneigung geprägt, obwohl Murdoch parallel stets mit anderen Männern und Frauen Beziehungen hatte. Sie fühle sich, als wäre sie „in der Haut eines homosexuellen Mannes, der seiner Frau fremd geht“, beschrieb sie ihr sexuelles Selbstverständnis.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.