Wenn es an der Tür klopft: Razzien gegen Immigranten

Präsident Trump hat Millionen von illegalen Immigranten verunsichert. Unmittelbar im Visier sind vorerst aber nur rund 2000.

Wien/Washington. Ob im Morgengrauen, in den Nachmittagsstunden oder um Mitternacht: Wann genau die Agenten der Einwanderungsbehörde dieser Tage kommen und an die Tür klopfen würden, um illegale Immigranten festzunehmen, in ein Zentrum zu schaffen und abzuschieben, war ungewiss. Nur, dass sie dies tun würden, war nach einer Ankündigung Donald Trumps via Twitter klar. Als Stichtag gab der US-Präsident zuletzt den gestrigen Sonntag aus – höchst ungewöhnlich für eine Maßnahme, die üblicherweise eher im Stillen und Geheimen abläuft.

Der Chef hat die Mitarbeiter des Heimatschutzministeriums, wie so oft, brüskiert. Im Juni hatte er noch von Millionen schwadroniert, die von einer Abschiebung bedroht seien. Damit wollte er bei seinen Anhängern Eindruck machen, die nach wie vor auf die Einlösung des Wahlkampfversprechens vom Mauerbau warten. Und zugleich ging es ihm darum, bei den Immigranten ein Klima der Angst zu schaffen und Abschreckung bei jenen zu erzeugen, die sich mit der Idee tragen, sich auf den Weg in die USA zu machen.

Die „New York Times“ bekam Wind von den Razzien, der Heimatschutzminister intervenierte, die Demokraten protestierten. Trump blies die Aktion vorerst ab, er verschob sie um ein paar Wochen. Bevor er am Freitag ins Wochenende ging, betonte er aber, dass die Zeit für die Abschiebungen jetzt gekommen sei. „Die Menschen sind illegal ins Land gekommen, wir werden sie legal wieder herausschaffen“, schrieb er auf Twitter. Nichts an der „größeren Operation“ sei geheim. Auch Ken Cuccinelli, Chef der Einwanderer- und Ausländerbehörde, fand nichts Skandalöses daran: Festnahmen und Abschiebungen gehören für ihn zum Alltag.

Vorbereitung auf den Tag X

Dass sich die Razzien in einem Dutzend Städten, von New York bis San Francisco, abspielen würden, galt als sicher. Es sind sogenannte „sichere Häfen“ – Städte, die illegalen Immigranten Schutz vor Verfolgung gewähren und die solcherart Fahne zeigen gegen die Trump-Regierung.

Die Einwanderungsbehörde sprach indessen nur noch von rund 2000 Menschen, denen sie gezielt eine Vorwarnung zukommen habe lassen. Einzelpersonen, insbesondere Vorbestrafte und Kriminelle, seien im Visier, nicht so sehr Familien, heißt es. Und doch leben Millionen illegale Immigranten – laut Schätzungen sind es elf Millionen in den USA – seit Wochen in Unsicherheit. Viele haben sich auf den Tag X vorbereitet. Die einen haben ihre Wohnung verlassen und anderswo Zuflucht gesucht, andere haben sich mit Proviant in der Wohnung verbarrikadiert und wollen niemanden hereinlassen.

Abschiebungsrekord unter Obama

Denn sie sind nicht verpflichtet, die Tür zu öffnen – allenfalls bei einem Haftbefehl. Dies haben ihnen Anwälte, Bürgerrechtsorganisationen, Bürgermeister und Gouverneure im ganzen Land eingetrichtert. „Wir stehen zu ihnen“, bekräftigte Gavin Newsom, Kaliforniens demokratischer Gouverneur, in einem Video. Die Demokraten prangern die Immigrationspolitik des Präsidenten, die inzwischen wieder aufgegebene Praxis der Trennung der Familien und die Zustände in den Asylzentren an der US-mexikanischen Grenze an.

Auch Vizepräsident Mike Pence machte nach einer jüngsten Stippvisite im texanischen McAllen, wo Flüchtlinge in Käfigen vegetieren, keinen Hehl aus den menschenunwürdigen Zuständen. Das System sei an eine Grenze gekommen, sagte er. Donald Trump pflegt gar von einem „Notstand“ zu sprechen. Dabei ist die Zahl der aufgegriffenen Migranten in den USA im Juni um 28 Prozent gefallen. Die Kooperation mit Mexiko zeigt offenbar erste Wirkung. Nach der Androhung von Strafzöllen hat die Regierung des linksliberalen Präsidenten Andrés Manuel López-Obrador den Grenzschutz sowohl im Norden wie im Süden unverzüglich verstärkt.

Im Vorjahr hat die Trump-Regierung eine Viertel Million Menschen in die Länder südlich des Rio Grande abgeschoben. Den „Rekord“ stellte allerdings die Regierung Barack Obamas 2012 auf, als sie 410.000 Immigranten deportiert hat.

Heute wird Donald Trump im Weißen Haus Jimmy Morales, den Präsidenten Guatemalas, empfangen. Hauptthema ist dabei die Migrationskrise und wie sich die Hunderttausenden Mittelamerikaner auf ihrem Weg in die USA abhalten lassen. Trump möchte mit Morales ein Abkommen schließen, das Guatemala als sicheres Herkunftsland einstuft. Somit könnten Immigranten aus El Salvador und Honduras, die auf ihrem Weg in den Norden zwangsläufig Guatemala passieren, dorthin abgeschoben werden. Im Gegenzug erhofft sich Morales massive Finanzhilfe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2019)

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