Eine Präsidentin von Macrons Gnaden

(c) Peter Kufner
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EU-Rochaden. Still und leise wurde das Prinzip des Spitzenkandidaten als Anwärter für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten begraben.

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Am Dienstag also soll Ursula von der Leyen zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt werden. Dass der Europäische Rat der Regierungschefs die deutsche Verteidigungsministerin dem Parlament als Kandidatin vorschlägt, wie es der Lissabon-Vertrag vorsieht, wurde abwechselnd als Hinterzimmerdeal, Coup, Kuhhandel oder als typischer EU-Schacher bezeichnet. Auch Sebastian Kurz beteiligte sich völlig überflüssigerweise an der Verunglimpfung seiner Exkollegen.

Aber wie anders hätten es die 28 denn machen sollen, als in vertraulichen Gesprächen herauszufinden, auf wen sie sich einigen können? Öffentlich auf dem Marktplatz von Brüssel kann man keine Personalfragen aushandeln.

Das allgemein als nicht sehr befriedigend angesehene Ergebnis der Verhandlungen hat nichts damit zu tun, dass sie im Hinterzimmer geführt wurden. Es mussten verschiedenste Interessen der Staaten befriedigt werden, unterschiedlichste machtpolitische Gewichte austariert und auch noch die Zugehörigkeit zu Kultur- und Sprachgruppen berücksichtigt werden. Nicht zuletzt kam es auf Verhandlungsgeschick und Durchsetzungswillen an.

In dieser Disziplin erwies sich Frankreichs Staatspräsident der deutschen Bundeskanzlerin als heillos überlegen. Als ob es in der EU je anders gewesen wäre. Vor fünf Jahren schrieb ich an dieser Stelle zum selben Anlass: „Der Auftakt zur nächsten fünfjährigen Regierungsperiode der EU war alles andere als verheißungsvoll. Die Besetzung der Spitzenpositionen verlief in schlimmster bekannter Kabinettspolitik mit politischen Erpressungsmanövern und Kuhhändeln jeder Art. Dabei hätte doch genau das durch das neue Reglement mit den Spitzenkandidaten der großen Parteifamilien vermieden werden sollen. Wenn es Absicht gewesen sein sollte, die EU dadurch weiter zu demokratisieren, ist es gründlich misslungen.

Die Idee war von Grund auf verfehlt: Was soll ein Spitzenkandidat, wenn kein europäischer Bürger die Gelegenheit hat, den Parteienzusammenschluss zu wählen, den er angeblich anführte? EVP oder SP oder der liberale Verbund stand nicht auf dem Stimmzettel (. . .). Es gibt infolgedessen nicht das europäische Wahlergebnis, sondern 28 nationale Ergebnisse.

Damit ist gleichzeitig auch ein Geburtsfehler des Europäischen Parlaments genannt, der seine permanente Schwäche im Konzert der Brüsseler Institutionen garantiert. Aber vielleicht wollten das die Erfinder des Parlaments ohnehin. Die Sache mit den Spitzenkandidaten wird dennoch nicht vergessen werden und bei der nächsten EU-Wahl wieder für Komplikationen sorgen, aber mit ihr steht und fällt nicht die Zustimmung der Europäer zur EU.“

So weit der Kommentar aus dem Jahr 2014. Er hat ziemlich exakt vorhergesagt, was wir gerade erleben. Nach dieser Wahl 2019 wurde die Idee mit den Spitzenkandidaten endgültig zu Grabe getragen, und es ist nicht schade darum. Sie war eine Hinterlassenschaft des ehemaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz. Die Spitzenkandidaten der beiden großen Parteifamilien waren allenfalls in Deutschland und den Niederlanden bekannt, in allen übrigen Ländern war die EU-Wahl eine nationale Wahl der etwas anderen Art.

Jean-Claude Juncker, um dessen Raffinesse bei Verhandlungen und sarkastischen Humor uns noch leid sein wird, hat gemeint, er sei 2014 der erste und letzte Spitzenkandidat bei der EU-Wahl gewesen, der dann zum Kommissionspräsidenten gewählt wurde.

Todesstoß für ein Prinzip

Den Todesstoß bekam das Prinzip der Spitzenkandidaten durch den entschlossenen Willen Emmanuel Macrons, es zu erledigen, und den geradezu masochistischen Versuch Angela Merkels, es zu retten. Während Macron den deutschen relativen „Wahlsieger“ Manfred Weber von vornherein abgelehnt hatte, war Merkel bereit, Frans Timmermans vorzuschlagen, obwohl seine Parteienfamilie, die Sozialdemokraten, ebenfalls zu den Wahlverlierern gehörten.

Den linken Timmermans dem Parlament als Kandidaten vorzuschlagen kam aber für die Fraktion der Europäischen Volkspartei ebenso wenig infrage wie für die Visegrád-Staaten. Letztere wollten sich dafür „rächen“, dass er der wichtigste Betreiber der Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn sei, lautet eine allgemeine Erklärung dafür.

Das ist eine zu simple Sicht der Dinge. An Timmermans wird die tiefe Kluft sichtbar, die manche der östlichen EU-Staaten vom Westen trennt. Der Niederländer steht für einen aggressiven Säkularismus, der alles tut, um das Christentum aus dem europäischen Gedächtnis zu verdrängen. Den Polen etwa wünscht er die „Erlösung von der immerwährenden Unterdrückung durch die katholische Kirche in Familienfragen“.

Die eindeutigen Sieger

Timmermans wünscht sich eine „vermischte Superkultur“. Die Masseneinwanderung von moslemischen Männern nach Europa sei ein Mittel zu diesem Zweck. Kein Land solle der Vermischung entgehen, vielmehr sollten „die Zuwanderer veranlasst werden, auch die entferntesten Plätze des Planeten zu erreichen, um sicherzustellen, dass nirgends mehr homogene Gesellschaften bestehen bleiben“.

Frankreich und Emmanuel Macron sind als eindeutige Sieger aus dem Ringen um die Spitzenposten in der EU hervorgegangen. Dafür, dass er Christine Lagarde an die Spitze der EZB gebracht hatte, konnte Macron leicht eine Deutsche für den Prestigeposten einer Kommissionspräsidentin vorschlagen. Mit dem Belgier Charles Michel als Ratspräsidenten hat Macron einen Zugriff auf das eigentliche Entscheidungsinstrument der EU, den Rat der Regierungschefs – und mit Lagarde eine Garantie, dass die EZB seine Wirtschaftspolitik mit ihrer Geldpolitik unterstützen wird.

Macrons wirtschaftspolitische Ideen laufen darauf hinaus, den französischen Zentralismus noch weiter in der EU zu verankern. Er verheimlicht gar nicht, dass er Deutschland schwächen möchte. Deutschlands Stärke „ist in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar“, sagte er gleich zu Beginn seiner Amtszeit.

Angela Merkels Blamage

Das ist es auch, was Lagarde als Chefin des Internationalen Währungsfonds predigt: Deutschland fördere die wirtschaftlichen Ungleichheiten in der EU, klagt sie. Die Bundesrepublik müsse ihre heimische Nachfrage ankurbeln, um die Exportwirtschaft defizitärer Länder zu unterstützen. „Soll die Exportwirtschaft jetzt irgendwie dazu angehalten werden, mehr unattraktive Güter herzustellen?“, fragte dazu ein deutscher Regierungssprecher.

Dass die Bundeskanzlerin sich aus innerdeutscher Koalitionsräson bei der Abstimmung über Ursula von der Leyen im Rat der Stimme enthalten musste, macht ihre Blamage vollständig. Von der Leyen erscheint als eine Präsidentin von Macrons Gnaden. Schwieriger hätte die erste deutsche Präsidentschaft seit Jahrzehnten nicht beginnen können.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2019)

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