Die Privatisierung der Zukunft

Vor genau 50 Jahren startete die erste bemannte Mondmission.
Vor genau 50 Jahren startete die erste bemannte Mondmission.Nasa/A9999 DB NASA
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Vor genau 50 Jahren startete die erste bemannte Mondmission. Seither ist uns der Glaube an die Gestaltungskraft des Staates abhandengekommen.

All diejenigen unter uns, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Licht der Welt erblickt hatten, verbrachten ihr Leben im Schatten von zwei staatlichen Programmen: „Manhattan“ und „Apollo“. Beide Projekte wurden von den USA in die Wege geleitet, beide veränderten fundamental unser Selbstverständnis – wenn auch auf gänzlich unterschiedliche Weisen. Denn während das „Manhattan“-Atombombenprojekt den Beweis erbracht hat, dass der Mensch sich die Welt nicht nur untertan machen, sondern sie auch in radioaktive Schlacke verwandeln kann, hat das „Apollo“-Programm die ersten Außenansichten von dieser Welt geliefert. Und damit gezeigt, wie fragil unser Planet im kosmischen Maßstab ist.

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Vor genau einem halben Jahrhundert hob in Florida die Rakete ab, die Neil Armstrong und Buzz Aldrin zum Mond brachte. Bis 1972 folgten weitere zehn Mondbesucher. Die Astronauten hatten eines gemein: Sie wurden als offizielle Vertreter der USA auf die weiteste Reise in der Geschichte der Menschheit geschickt. Dass derart gewichtige Unterfangen nur unter der Flagge einer Nation stattfinden konnten, stand zum damaligen Zeitpunkt außer Frage – und in der Zukunft sollte sich nichts daran ändern, wie filmische Visionen von damals bezeugen: Sowohl in „2001: Odyssee im Weltraum“ als auch in der Fernsehserie „Mondbasis Alpha“ waren die Reisenden zum Erdtrabanten im staatlichen Auftrag unterwegs. Und selbst im Kern der Hollywood-Weltraumoper „Krieg der Sterne“, die den Eskapismus der Kinobesucher zur (lukrativen) Kunstform erhob, stand der Konflikt zwischen zwei Staatsformen: der freiheitsliebenden Republik und dem finsteren Imperium.

Doch die Zukunft ist nicht mehr das, was sie einmal war. Irgendwann zwischen Mondlandung und Gegenwart ist uns der Glaube an die Gestaltungskraft des Staates abhandengekommen. Der genaue Zeitpunkt dieses Sinneswandels lässt sich nicht eruieren. Perfekt auf den Punkt gebracht wurde er jedoch von Ronald Reagan, der als ehemaliger Arbeiter in der kalifornischen Traumfabrik ein untrügliches Gespür für die Mythen des Alltags hatte. „Die zehn furchterregendsten Worte lauten: Ich bin von der Regierung und komme, um zu helfen“, erklärte der US-Präsident seinen Mitbürgern.

Reagans Rede vom Staat als Wurzel allen Übels ist im Kontext der staatlichen Fehlleistungen zu sehen, die in den Wirtschaftskrisen der 1970er-Jahre resultiert haben. Und dass die unsichtbare Hand des Marktes grosso modo das bessere Händchen fürs Geld hat als die öffentliche Hand, ist auch unbestritten. Doch es geht gar nicht darum, den Staat gegen den Markt auszuspielen.

Anstatt öffentlich oder privat moralisch zu überhöhen, sollten wir dezentrale Marktwirtschaft und staatliche Bürokratie an dieser Stelle als das sehen, was sie sind: nämlich als Organisationsformen, die ihre Vor- und Nachteile haben. Wir wollen zu Recht keine privaten Armeen und staatlich geplanten Konsumgüter, sondern das Gegenteil davon. Während der Markt Ressourcen verteilen und Bedürfnisse schnell befriedigen kann, sind die Schaffung von Rahmenbedingungen und die Abwicklung von langfristigen Projekten ohne unmittelbaren ökonomischen Nutzen eher die Stärken des Staates: Projekten wie dem Kommunikationsnetz der US-Streitkräfte, aus dem das Internet hervorgegangen ist. Oder dem „Apollo“-Programm.

Womit wir wieder bei der Raumfahrt wären, die mittlerweile im Visier privatwirtschaftlicher Interessen steht. Die digitalen Großindustriellen von heute haben als Kinder davon geträumt, in die Fußstapfen der US-Offiziere Armstrong und Aldrin zu treten. Ihre Vermögen sind nun groß genug, um diese Träume in Eigenregie verwirklichen zu können.

Was diese privatisierte Zukunft mit sich bringen wird, lässt sich nicht abschätzen. Doch wenn eines schönen Tages ein konzerneigenes Raumschiff Mitarbeiter von Amazon, Google oder Tesla zum Mars bringen sollte, dann werden diese Abgesandten höchstwahrscheinlich keine Flagge mit sich führen. Sondern einen Patentanwalt, um das Rot des Roten Planeten als Geschmacksmuster urheberrechtlich schützen zu lassen.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2019)

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