Von der Leyen will mit Migrations- und Klimapolitik punkten

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„Es lebe Europa“, so beendete die Anwärterin auf den Posten des EU-Kommissionsvorsitzes ihre Bewerbungsrede vor dem EU-Parlament. Eine breite Mehrheit bei der Abstimmung am Abend ist ihr alles andere als sicher.

Sie will am Dienstag um 18 Uhr zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt werden: Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Und so versuchte die 60-Jährige bei ihrer Bewerbungsrede im EU-Parlament am Vormittag im wahrsten Sinne des Wortes möglichst viele anzusprechen: Auf Deutsch, Französisch und Englisch hielt sie ihre Ansprache, mit der sie noch im letzten Moment versuchte, die Mehrheit der Abgeordneten auf ihre Seite zu ziehen.

Sie wolle die Brüsseler Behörde mit der "Courage und Kühnheit" von Pionierinnen führen, sagte die Christdemokratin. Es erfülle sie mit "großem Stolz", dass mit ihr nun erstmals eine Frau Kandidatin für den Posten der EU-Kommissionspräsidentin sei. Ihre Aufforderung: „Aufstehen für unser Europa“.

Die Vertraute der deutschen Kanzlerin Angela Merkel kündigte an, die Einheit Europas gegen Versuche der Spaltung und globale Herausforderungen verteidigen zu wollen. Sie sei eine "leidenschaftliche Kämpferin" für die Europäische Union: "Wer Europa schwächen will, findet in mir eine erbitterte Gegnerin", sagte von der Leyen, die mit den Worten "Lang lebe Europa" ihre Rede schloss und dafür großen Applaus und Standing Ovations erhielt.

EU bis 2050 klimaneutral machen

Protest gab es hingegen bei ihrer Erklärung, dass sie notfalls - aus "guten Gründen" - bereit wäre, das Brexit-Datum, den 31. Oktober, erneut zu verschieben. Am ausgehandelten Austrittsvertrag der EU mit Großbritannien könne aber nicht gerüttelt werden. "Er schafft Sicherheit in einer Zeit, in der der Brexit für Unsicherheit sorgt."

In ihrer Rede wies sie auf die aus ihrer Sicht dringendsten Arbeitsfelder hin - der demografische Wandel, die Veränderungen der Weltwirtschaft, der Klimawandel seien keine „Metaentwicklungen". Wissenschafter hätten diese lange vorausgesagt, so von der Leyen. Die größte Verantwortung sei es, den Planeten „gesund zu halten“. Die CDU-Politikerin kündigte daher ein Gesetz mit dem Ziel an, bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Das bisherige EU-Etappenziel einer Reduzierung der Treibhausgase um 40 Prozent bis 2030 sei nicht ausreichend.

In Sachen Migrationspolitik kündigte von der Leyen einen neuen Versuch an, den jahrelangen Streit innerhalb der EU zu lösen. Sie wolle deshalb einen Vorschlag für einen neuen "Pakt für Migration und Asyl" vorlegen. Die EU müsse irreguläre Migration reduzieren und gegen Schlepper vorgehen, aber gleichzeitig das Asylrecht bewahren und die Situation von Flüchtlingen verbessern. Gleichzeitig forderte sie einen Ausbau der europäischen Frontex-Grenzschutzagentur auf 10.000 Mann bis 2024 und will erneut eine Reform des Dublin-Systems für Asylsuchende angehen.

Grüne und rechte Fraktion entziehen Vertrauen

Doch die Kandidatin, auf die sich die EU-Staats- und Regierungschefs nach einem Marathongipfel Anfang Juli geeinigt hatten, ist umstritten: Die EU-Spitzen hatten die Spitzenkandidaten bei der Europawahl Ende Mai übergangen. Um ihre Kritiker zu besänftigen hatte von der Leyen am Montag noch angekündigt, das Amt als Verteidigungsministerin unabhängig vom Wahlergebnis zurücklegen zu wollen.

Mindestens 374 von insgesamt 747 Parlamentariern muss von der Leyen am Abend überzeugen. Diese absolute Mehrheit scheint ihr zwar so gut wie sicher. Doch von einer breiten Unterstützung im EU-Parlament kann keine Rede sein. Denn während die Europäische Volkspartei und die Liberalen von der Leyen ihre Unterstützung zusagten, wollen die Sozialdemokraten erst am Nachmittag entscheiden, ob sie die Wahl der Christdemokratin unterstützen.

Die Grünen entzogen von der Leyen gleich nach der Rede das Vertrauen - die Vorschläge seien zu vage gewesen. Auch die rechte Fraktion "Identität und Demokratie" (ID), der die FPÖ angehört, will nicht für von der Leyen stimmen.

In Kürze

Wird sie gewählt, tritt Ursula von der Leyen am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker an und bestimmt für fünf Jahre Politik und Prioritäten der EU mit. Fällt sie durch, müsste der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs binnen eines Monats einen neuen Vorschlag machen. Für die Große Koalition in Berlin wäre dies eine Belastung. Denn die 16 SPD-Europaabgeordneten haben Nein-Stimmen angekündigt.

(APA/red.)

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