Bundeskanzler Werner Faymann warb bei seiner Amtskollegin Angela Merkel für die rasche Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Mit der SPD will er dazu ein europaweites Volksbegehren starten.
BERLIN. Der Vorstoß sei „gegen die Logik des freien Markts. Er wird große Kraftanstrengungen brauchen.“ Mit diesen Worten suchte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) am Dienstag in Berlin nach Verbündeten für seine Initiative zur Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer. Und er fand sie vor allem bei der SPD. Deren Chef Sigmar Gabriel sagte ihm Unterstützung zu. Gemeinsam kündigten beide Politiker an, sie würden mit ihren europäischen Partnerparteien ein EU-Bürgerbegehren starten. Diese Form eines europaweiten Volksbegehrens sieht der Lissabon-Vertrag erstmals vor. Sind eine Million Unterschriften gesammelt, so soll die EU-Kommission aufgerufen werden, ein Gesetz zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu erarbeiten.
Am frühen Abend traf Faymann mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen. Auch dabei warb der Bundeskanzler für die neue Steuer, die nach seiner Ansicht einen Lenkungseffekt gegen Spekulationen hätte. Faymann tritt für eine Umsatzsteuer auf alle Transaktionen von Finanzprodukten – also Aktien, Anleihen, Derivate – ein. Der Verkauf soll mit einem Satz zwischen 0,01 bis 0,05 Prozent belastet werden. Außerdem soll der gesamte Wertpapierhandel ausschließlich über streng geregelte Märkte abgewickelt werden. Darüber hinaus sieht das Bürgerbegehren ein striktes Verbot hoch spekulativer Finanzprodukte vor.
Kritik, dass eine solche Steuer die Liquidität auf den Finanzmärkten einschränke, wies Faymann in einem Papier zum geplanten Bürgerbegehren zurück. Diese negativen Effekte seien durch den niedrigen Steuersatz vernachlässigbar. „Die Steuer treffe in erster Linie institutionelle Anleger und Spekulanten, die sehr kurzfristig und hoch frequent handeln.“
ÖVP-Kritik an Bürgereinbindung
ÖVP-Vizekanzler Josef Pröll sprach sich am Dienstag am Rande des Treffens der EU-Finanzminister erneut für die Transaktionssteuer aus, schränkte allerdings ein, dass ein europäisches Bürgerbegehren zu dieser Frage nicht sinnvoll sei. Heftige Kritik kam vom ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Ernst Strasser. Er sprach von einem „Armutszeugnis unseres Bundeskanzlers, dass er ein Instrument, das dem Bürger gehört, für seine populistischen Ziele gebraucht“.
Glücklicher als mit seinem Koalitionspartner war Faymann an diesem Tag mit dem Timing. Sein Blitzbesuch in Berlin fand gerade zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die deutschen Christdemokraten ebenfalls auf den Zug in Richtung Transaktionssteuer aufsprangen. Noch vergangenes Wochenende hatte Bundeskanzlerin Merkel dies als unrealistisch zurückgewiesen. Doch am Dienstag ließ die Regierung verlauten, dass sie sich – nach wochenlangem koalitionsinternen Streit – grundsätzlich auf eine Besteuerung des Finanzmarktes geeinigt habe. Der Kompromiss zwischen Union und FDP sieht vor, dass sich die Regierung über die Bankenabgabe hinaus für eine europäische beziehungsweise globale Beteiligung der Finanzmärkte einsetzt, so Unions-Fraktionschef Volker Kauder.
Die Liberalen haben lange eine Transaktionssteuer strikt abgelehnt: Generalsekretär Christian Lindner bezeichnete sie als „Placebo“, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle warnte vor einer „Illusionslösung“, die das Kernproblem des Euro nicht löse. Umgekehrt stellten sich zuletzt etliche CSU- und CDU-Politiker öffentlich hinter die Finanztransaktionssteuer und deuteten an, dass sie ihre Zustimmung zum EU-Rettungsschirm an verbindliche Zusagen für eine Neuordnung der Finanzmärkte knüpfen würden.
Die Sozialdemokraten begrüßten es zwar am Dienstag, dass sich die Koalition endlich bewegt, forderten jedoch auch, die Regierung müsse nun dafür auf europäischer Ebene auch die politische Initiative ergreifen. Ein bloßer Prüfantrag, wie in dem jetzigen Kompromiss vereinbart, reiche nicht, so der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann.
Einlenken mit Gegengeschäft
Mit ihrer Kehrtwende hat sich die Union auf SPD und Grüne zubewegt. Seit Tagen wirbt Bundeskanzlerin Angela Merkel um eine Zustimmung der Opposition zum 750 Milliarden schweren Rettungspaket für den Euro, der noch diese Woche im Eiltempo im Bundestag beschlossen werden soll. Die erste Lesung ist für heute, Mittwoch, angesetzt, verbunden mit einer Regierungserklärung Merkels. Meinung, Seite 31
LEXIKON
■EU-Bürgerbegehren.
Der Lissabon-Vertrag sieht erstmals ein Volksbegehren auf europäischer Ebene vor. Wenn ein Anliegen von einer Million EU-Bürger unterstützt wird, muss die EU-Kommission die Möglichkeit einer gesetzlichen Umsetzung prüfen. Das Bürgerbegehren ist für Brüssel nicht verpflichtend. Aber es ermöglicht, den politischen Druck für eine gewünschte Regelung zu erhöhen.
Details noch offen. Allerdings sind noch einige Details für die Realisierung von solchen Bürgerbegehren offen. So etwa haben sich die Mitgliedstaaten und das Europaparlament noch nicht darauf geeinigt, aus wieviel Mitgliedstaaten die Unterzeichner eines Begehrens kommen müssen. Die Beschlüsse dazu werden für Herbst erwartet, so dass die ersten Initiativen 2011 starten können.
Erstes Begehren angemeldet. Die Idee eines ersten EU-Bürgerbegehrens kommt übrigens nicht von Bundeskanzler Faymann, sondern vom CSU-Europaabgeordneten Martin Kastler, der Unterschriften für den arbeitsfreien Sonntag sammeln möchte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2010)