„Der König der Löwen“: Simba, vom Lausbub zum Erlöser

Baby Simba mit seinem Vater Mufasa in einem magisch illuminierten Afrika.
Baby Simba mit seinem Vater Mufasa in einem magisch illuminierten Afrika.(c) 2019 Disney Enterprises Inc., All Rights Reserved
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Jon Favreaus Neuverfilmung von „Der König der Löwen“ zeigt den Unterschied zwischen Klassiker und Dutzendware: Grandiose Optik und Einfallsreichtum begeistern.

Frühmorgens verhält sich der kleine Löwe wie der kleine Maxi von nebenan. Er weckt seinen Vater und weil dieser nicht sofort aufsteht, hüpft er ihm solange auf der Nase herum bis der Alte sich erhebt, dieser ist tatsächlich schon etwas betagt. Jon Favreau, der 2016 für Disney „Das Dschungelbuch“ neu verfilmte, führte auch Regie beim aktuellen „König der Löwen“.

Kosten und Mühen wurden nicht gescheut, die Technik spielt alle Stückeln, CGI heißt das Verfahren, Computer Generated Imagery. Die fantastischen Bilder erinnern den Zuseher daran, dass 3-D, einst wegen Überstrapazierung der Sinne umstritten, sich längst durchgesetzt hat. Zu Beginn saust als Werbung für Imax ein Flugzeug frontal auf den Betrachter zu, mancher denkt sofort an den berühmten Film der Brüder Lumière aus dem Jahr 1896: Eine Lokomotive scheint Zuschauer in einem Café zu rammen, die erschreckt fliehen – angeblich eine Legende zu Werbezwecken wie man heute vermutet.

Wie auch immer, die Technik verblüfft stets aufs Neue, auch bei diesem „König der Löwen“, obwohl die Geschichte im Wesentlichen den früheren Fassungen folgt. Oft sucht Disney nach Plots, die auf veränderte Lebensbedingungen zugeschnitten sind, man taucht mit Streifen wie „Coco – Lebendiger als das Leben“ eher oberflächlich in fremden Kulturen, diesfalls Mexiko, oder funktioniert Märchen für emanzipierte Mädchen um („Rapunzel – neu verföhnt“).

Die größte Wirkung entfalten aber noch immer traditionelle Klassiker. „Der König der Löwen“ ist ein solcher, nicht zuletzt weil er auf Giganten wie Shakespeare baut: Der alte König stirbt, der junge König ist noch zu schwach um zu regieren, also reißt der hinterlistige Bruder des alten Herrschers die Macht an sich und gleich auch die Frau des früheren Königs, eine „Hamlet“-Variation.

Etwas Shakespeare für tierische Royals

Mit seiner Armee von brutalen, gefräßigen Kreaturen – hier müssen mal wieder die armen Hyänen herhalten, was Zoologen schon bei früheren Filmen ärgerte – beutet der Usurpator das Land aus. Diese Passage mögen Umweltschützer oder Grüne deuten: Die Welt in der Hand finsterer Kerle, die auf ihre Vernichtung zielen. Nein, natürlich geht es hier vor allem um eine tolle Story, die zu dem wachsenden Interesse an Afrika passt, nicht nur wegen der Flüchtlingskrise. Prominente Afroamerikaner liehen Hauptfiguren ihre Stimme: Rapper Donald Glover spricht Simba, Beyoncé Nala, James Earl Jones Mufasa. Eine besondere Attraktion ist der räudige Scar (Chiwetel Ejiofor).

Favreau, der auch Schauspieler und Drehbuchautor („Swingers“) ist, hatte ein nach allen Richtungen ausgedehntes Kreativteam, darunter auch den mehrfachen Oscarpreisträger für Special Effects, Rob Legato („Titanic“, „Hugo Cabret“!). Man schwelgt in der Schönheit der Natur, vom kleinsten Insekt über Antilopen, Elefanten – und was der Zuseher sonst höchstens aus Universum-Sendungen kennt: Auf zur Safari! Doch: Weder auf Reisen durch Kenya und mit der denkbar raffiniertesten Fotoausrüstung noch im Animal Kingdom im Disney Park in Florida werden Globetrotter solche Aufnahmen machen können von Wald und Tieren.

Letztere sind nicht nur vermenschlicht, sie reden ein wunderschönes britisches Englisch. Schließlich geht es hier um eine Royal Family, die mit ihren Ränken zeitweise real Historie nachzustellen scheint. Wie bei den Windsors spielen Frauen in diesem Film eine wichtige Rolle. Löwenmädchen Nala, die mit Simba gemeinsam aufwächst, ist ihm an Geschicklichkeit überlegen: Ruckzuck schmeißt sie den Spielkameraden in den Sand und setzt ihre Pfote auf sein Maul.

„Der König der Löwen“ bietet aber auch stimmig bebilderten Stoff für Psychologen: Simba erlebt den Tod seines mächtigen Papas Mufasa, hernach sehen wir ihn auf dem schmalen Grat einer Düne durch eine gewaltige Wüste wandern, er findet ein neues Paradies und neue Freunde, doch sobald er erwachsen ist, kann er seiner Berufung nicht entrinnen. Hier gibt es auch eine biblische Facette: Jesus in der Wüste und die Versuchung durch den Teufel. Im bibelfesten Amerika wird dieser Bezug gewiss erkannt. Simba muss seinen Garten Eden verlassen, um gegen den Fürsten dieser Welt (in der Bibel: Satan) zu kämpfen bzw. das ihm anvertraute Reich wiederherzustellen, zu erlösen.

Kaum vorstellbar, dass solche Parallelen zur Religion ein Zufall sind. Sie mögen als Rechtfertigung dienen für die grausamen Szenen, die, so wissen Mütter junger Kinder zu berichten, den Nachwuchs kalt lassen, was vielleicht auch wieder kein gutes Zeichen ist. Den Satz: „Es ist doch nur ein Film!“, sprechen heute offenbar öfter Kinder zu Eltern als umgekehrt. Aber vom neuen „König der Löwen“ möchte man nicht abraten, zu ergreifend ist die Geschichte, die sich der allzeit einnehmenden Utopie der Weltverbesserung durch gutes und gemäßigtes Handeln widmet. Zart Besaitete jeden Alters sollten Taschentücher eingesteckt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2019)

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