Rassismus: Wenn Migranten Migranten hassen

(c) Clemens Fabry
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Auch unter Zuwanderern gibt es das Phänomen, dass andere Bevölkerungsgruppen als minderwertig betrachtet werden. Statistisch erfasst wird dieser Rassismus, Nationalismus und Ethno-Chauvinismus aber nicht.

"Nein, ein Rassist bin ich nicht“, sagt Tomasz Kowalski (Name von der Redaktion geändert), „aber einen Schwarzen, den könnte ich umbringen.“ Seinen richtigen Namen möchte der Pole nicht in der Zeitung lesen, zu seinen Feindschaften steht er aber. Warum er ausgerechnet Schwarze nicht mag, weiß er nicht. Kowalski steht damit aber stellvertretend für ein Phänomen, über das sonst kaum gesprochen wird: Rassismus unter Migranten.

Den gibt es ebenso wie Nationalismus oder andere Formen der Abneigung. Eine gesonderte Statistik darüber gibt es nicht – im jährlichen Rassismus-Report der Beratungsstelle Zara ist dieses Phänomen jedenfalls nicht extra ausgewiesen. „Dass es aber Rassismus unter Migranten gibt, auch Rassismus von Migranten gegenüber Österreichern, das wissen wir“, sagt Leiter Wolfgang Zimmer.

Dabei trifft der Begriff „Rassismus“ nur in einem Teil der Fälle: „Rassismus wird strafrechtlich verfolgt“, sagt Andre Gingrich, Direktor des Instituts für Sozialanthropologie an der Akademie der Wissenschaften. Bei Nationalismus sind die Sanktionen nicht immer so klar. Gingrichs Beispiel: Kurden sind versessen, einen eigenen Staat zu haben – „das ist nicht rassistisch, sondern nationalistisch“. Und eher ein politisches als ein strafrechtliches Problem.

Ethnischer Chauvinismus

Eines der am häufigsten auftauchenden Phänomene unter Migranten sei aber ein anderes: ethnischer Chauvinismus. Davon wird dann gesprochen, wenn, vereinfacht gesagt, zwischen den Minderheiten bestimmte Gruppen miteinander nicht gut können. Unter Ex-Jugoslawen taucht der öfters auf. „Jetzt geht's“, meint Mila Hranilovic (Name von der Redaktion geändert), „aber während des Jugoslawien-Kriegs konnten wir wahrscheinlich nicht zusammenarbeiten, weil wir Feinde waren.“ Die gebürtige Serbin lebt seit den 90er-Jahren in Österreich, seit Kurzem arbeiten sie mit einer kroatischen Kollegin zusammen. „Meine Familie hat zwar nichts verloren, aber bei denen, die etwas verloren haben, war es viel schwieriger, damit umzugehen“, erzählt sie.

Der Fall von Hranilovic zeigt eines sehr deutlich auf: Ist der Konflikt im Heimatland sehr stark oder gerade aktuell, neigen die Migranten im Einwanderungsland zu vermehrter Identifikation mit der Heimat. Beruhigt sich die politische Lage wieder, finden auch die Migranten wieder etwas leichter zueinander.

Historisch gesehen gibt es solche Abneigungen immer wieder. Etwa in der österreichisch-ungarischen Monarchie zwischen neu zugewanderten und alteingesessenen Juden. Die aus Polen oder der Ukraine neu zugewanderten Juden wurden misstrauisch betrachtet, da sie als Gefahr für den eigenen, womöglich hart erarbeiteten Status gesehen wurden. Und auch heute spielen neben historisch-politischen oft auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle.

Wie sehr sich jemand mit seinem Herkunftsland identifiziert, hängt sehr stark davon ab, wie es im Elternhaus vorgelebt wird. Bestehen eine starke Bindung zum Herkunftsland, wenig oder kein Kontakt zur Außenwelt und eine strenge Erziehung nach traditionellen Mustern, tendieren Jugendliche eher zu ethnischen oder nationalen Identifikationen. „Sie sind weder dem Herkunftsland zugehörig, noch sind sie hier angekommen“, sagt Hildegard Weiss, Professorin am Institut für Soziologie an der Uni Wien, „und neigen in einer zwiespältigen Situation ins Extreme.“ Nicht wenige Jugendliche (etwa ein Drittel) fühlen sich nirgendwo zu Hause. Dies allein könne Rassismus allerdings noch nicht begründen. Verschärfend wirke es, wenn die Jugendlichen wenig Chancen für die Zukunft sehen. In der Perspektivenlosigkeit liege ein großes Potenzial für Rassismus und Nationalismus.

Haben Eltern wiederum wenig Bindung an das Herkunftsland, einen guten sozialen Status und gute Bildung, funktioniere es besser. Ein wichtiger Faktor ist laut Weiss auch das persönliche Diskriminierungsempfinden: Ist das Empfinden groß, diskriminiert zu sein, lässt dies ebenfalls keine positive Identität entstehen. Einen Ansatz zur Lösung der Probleme sieht die Expertin im Schulsystem: längere Ausbildungszeit, Vermeidung von Bildungsbruch und eine gute Durchmischung der Klassen seien einige Aspekte, die soziale Integration fördern würden.

Quotenregelung als Lösung?

Ethnischer Chauvinismus ist allerdings nicht typisch migrantisch – bestimmte Gruppen tendieren anfangs oft dazu, sich von der Mehrheitsgesellschaft abzuschotten. Was hilft, ist nach Meinung von Andre Gingrich Partizipation. Das betreffe unter anderem den Sport, die Bildung und die Medien. Der Wissenschaftler plädiert daher für eine Quotenregelung, ähnlich wie in den USA. Dort liegt der Anteil der Afroamerikaner an der Bevölkerung bei etwa neun Prozent – und es gibt für sie im öffentlichen Dienst, in Ministerien und bei der Bildung eine Quote.

„Dass Österreicher dann auf die Barrikaden gehen würden, ist mir klar“, sagt er, „aber man muss es umsetzen, auch wenn es radikal ist.“ In den USA gab es anfangs auch Proteste dagegen. „Aber 20 Jahre später ist es selbstverständlich.“

AUF EINEN BLICK

www.zara.or.atReport: Der jährlich erscheinende Rassismus-Report des Vereins Zara (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) liefert Daten über Fälle von Rassismus in Österreich. Konflikte zwischen verschiedenen Migrantengruppen werden dabei nicht erfasst – doch dass es auch unter Migranten Formen von Rassismus, Nationalismus und Ethno-Chauvinismus gibt, ist unbestritten. Oft hat dieses Phänomen einen Hintergrund in den jeweiligen Herkunftsländern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2010)

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