Ios: Ganz oben ruht Homer, angeblich

Der steile Weg zum Paleokastro
Der steile Weg zum Paleokastro Tom Busch
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Der traditionelle Ansturm Partywütiger auf Ios ist nur ein Teil der Wahrheit über das griechische Kykladen-Eiland. Außerhalb der Hochsaison und hoch über dem Meer erlebt der Besucher eine ganz andere Insel.

Sage mir, Muse, die Taten des viel gewanderten Mannes, welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung.“ Lettern auf dem Boden führen vom olivenbestandenen Eingang auf die Terrasse oberhalb der prachtvollen Meeresbucht weiter bis zum Pool. „Vieler Menschen Städte gesehen, Sitte gelernt und auf dem Meere so viele unnennbare Leiden erduldet“, zitiert die Inschrift Homer. Mit dem Anruf der Muse beginnt der erste Gesang der Odyssee, und Homer, der wohl größte Epiker aller Zeiten, soll sie verfasst oder zumindest aufgezeichnet haben. Auf der Ägäis-Insel Ios, der mütterlichen Heimatinsel Homers, wird der Dichter in vielerlei Gestalt verehrt: Tavernen, Pensionen, Gedenkstätten und Cocktails tragen seinen Namen. Ein Swimmingpool war bislang noch nicht dabei. Homers Schwimmbecken erstreckt sich auf der Terrasse des Liostasi-Boutique-Hotels und bietet den Badenden einen Panorama-Ausblick auf den großen Hafen.

Ios gilt primär als Partyinsel. Bierbusse, Pub-Crawls, ausschweifende Trinkgelage – ach, vergessen! Klammern wir die von Rum-Cola und Bässen zugedröhnten Ferienmonate aus, in denen die Jugend die Strände bevölkert und der Insel ein mäßiges Image verpasst, und machen wir uns auf, wenn Ios die Hosen wieder anhat. Denn es geht um Höheres, Erhabenes, Episches. Der Weg zu Homer führt in den Norden. Wir passieren Kambos, das fruchtbarste Gebiet der sonst trockenen Insel. Rechterhand ziehen sich kreisförmig Steinmauern einen Hügel hinauf: Skarkos – die heute größte und besterhaltene Siedlung der frühkykladischen Keros-Syros-Kultur. Der Ort wurde 2700 vor Christus angelegt. In der Bronzezeit vor knapp 5000 Jahren sollen hier etwa 200 Menschen gelebt haben. Und heute? Kambos hat 57 Einwohner, in Agio Theodoti, eine Gemeinde weiter, sind es zwölf, in Psathi fünf Einwohner, im Hauptort Ios um die 1700. Eine weitere Absiedlung von Ios soll verhindert werden – durch den Ausbau der Infrastruktur und von der EU finanzierte Straßen.

Das schwierige Image lässt sich ausblenden: Chora, der Hauptort von Ios, abseits der Partysaison.
Das schwierige Image lässt sich ausblenden: Chora, der Hauptort von Ios, abseits der Partysaison.Tom Busch

Steile Steine

Eine dieser Straßen führt zu Homer. Sie schlängelt sich in wilden Kurven nordwärts, vorbei an kraxelnden Ziegen und modernen Skulpturen am Wegesrand und öffnet sich schließlich zu einem Rondeau. Marmorstelen verkünden als Prolog: „An dieser Stelle deckt die Erde den geheiligten Kopf des Führers des gottreichen Homer.“ Ein Steinplattenpfad führt weiter auf den letzten Hügel der Nordspitze. Und hier, über der Ägäis, erhebt sich ein steinernes Geviert. Seit der Antike will man felsenfest wissen, dass Homer an dieser Stelle begraben liegt. Schließlich stammt seine Mutter von Ios, und Homer wäre aus Gram über ein ungelöstes Rätsel hier verstorben. Wer weiß. Hat Homer denn wirklich gelebt? Hat er die Irrfahrten des Odysseus niedergeschrieben? Mitunter tauchen Zweifel auf, ungeklärte Zeitsprünge bleiben. Und auch der Holländer Paasch van Krienen, der 1771 dieses Grab öffnete, konnte keinen Nachweis bringen: Das Skelett sei zu Staub zerfallen. Ach? So bleibt Homers letzte Ruhestätte eine Legende.

Die weißen Marmorquader formen die Gedenkstätte. Über der Macchia summt die Landschaft. Zu Füßen ruht das Meer. Weiße Segel zeigen den Kurs eines Bootes an. Vor uns schwimmt Iraklia, dahinter zieht sich Naxos' ausladender Süden. Was für ein friedlicher Ort. Ob Homers Körper hier ruht, wird nebensächlich: Seine Seele hat den besten Platz gefunden. Kein Wort, kein Verabreden bedarf es, um Steine aufzuklauben. Lächelnd setzen wir einen Turm zusammen, wie andere es vor uns getan haben: Hunderte Steinmonumente bilden Homers ewigen Garten auf Ios. Hier ruht seine Seele.

Puristisches Ambiente im Liostasi-Hotel.
Puristisches Ambiente im Liostasi-Hotel.Tom Busch

Ios ist reich an Steinen. Gebirgig erstreckt sich die Insel 15 Kilometer in die Länge und erhebt sich mit dem Pyrgos auf 700 Meter. Auf knapp 300 Metern sitzt das Palaiokastro an der Ostküste. Das Auto geparkt, führt ein Fußweg zu den byzantinischen Burgmauern: ein kleiner Pfad, geschaffen aus Marmor und Granit, ohne Geländer malerisch, wie an den Berg geklebt. Die Inselgeschichte erzählt, der Venezianer Marco I. Crispo habe die Burg 1397 errichtet. Ios hatte einige Herrscher, wurde von Rom und Byzanz regiert. Bis 1508 im Besitz der Nachfahren von Crispo, dann der Pisani-Familie, wurde Ios 1537 von Khair ad-Din Barbarossa erobert. Seit 1832 weht die griechische Flagge auf Ios – auch hier oben auf dem Palaiokastro, an der Panagia Paliokastritissa: eine weiße Kirche, weiße Sitzbänke, ein Olivenbaum. Jeden September wird das Fest der Jungfrau Maria begangen – mit Olivenzweigen, Brot und Musik. Noch flattern die bunten Wimpel im Wind. Durch den Torrahmen fällt der Blick auf die Ägais. Erahnen lassen sich Schinoussa und Amorgos im Dunst. Hier wandelt sich die Ruhe zur meditativen Stille. Rascheln im Olivenbaum. Sonst nichts.

Die inhalierte Ruhe hält sich bis zu den schönsten Stränden, Agia Theodoti, Psathi, Koumbara, dem Doppelhalbmondstrand von Manganari. Sie führt uns durch die engen Gassen der Chora und dahin, wo Homers Zitat geschrieben steht. Inzwischen haben Kerzen die Liostasi-Terrasse in Szene gesetzt. Davor zieht sich die Gialos-Bucht als Tableau: ein Drama in Silberblau, in Sonnenuntergangsrot. Gespannte Ruhe liegt über allem. Selbst das Eis im Masticha-Cocktail klirrt kaum vernehmbar. Fast meint man, gleich müsste der Dichter die Bühne betreten. Leise klingt Jazz an. Und dann versinkt die Sonne über Ios.

Als wäre der erste Gesang geschafft, eilen die Kellner herbei, rücken die Stühle und Servietten zurecht. Nun geht es ums Finale: Thunfisch in Sesamkruste, Kalmar mit Bottarga an Ouzo-Jellies, Kalbsschwanz mit Kalamarata-Pasta in Muskatcreme, zwölf Stunden geköcheltes Lamm. Hinter den Kreationen steckt ein großer Name: Lefteris Lazarou, der den allerersten Michelin-Stern nach Griechenland geholt hat. Mit seinem Athener Varoulko und als Jurymitglied der Masterchef-Show ist er eine Kochlegende. Hier oben im Grandma's serviert sein Team unter Chef Alexandros Lepesis passend zum großen Auftritt der Gialos-Bucht Fisch- und Seafood-Küche, die den Beifall des Publikums verdient. Applaus, das Licht fällt, der große Vorhang senkt sich. Homer nickt zufrieden.

EINE INSEL, ZWEI WELTEN

Hinkommen: Mit den Golden Star Ferries bzw. Superrunner-Schiffen (Schnellfähre), www.goldenstarferries.gr

Übernachten:Liostasi Ios Hotel & Suiten: Fünfstern-Boutique-Hotel, Panoramablick, Gourmetküche, Terrassenlounge, DJ-Music am Pool, Freiluftkino mit Filmklassikern. 22 Zimmer und Suiten in 8 Kategorien. Spa oberhalb von Plati Gialos, Hamam, Outdoor-Jacuzzi, Treatments Bali Flowers Facial bis Ayurveda. www.liostasi.gr

Essen: Grandma's Restaurant, eines der Besten der Kykladen, preisgekrönter Chefkoch Lefteris Lazarou, sechs- oder achtgängige Degustationsmenüs. www.GrandmasRestaurant.gr

Compliance: Die Recherche wurde zum Teil von Genannten unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2019)

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