Fernkälte: Umweltfreundliche Alternative zur Klimaanlage

Steigende Temperaturen.
Steigende Temperaturen.Pixabay
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Erstmals kommen in Wien Privatpersonen in den Genuss des Fernkältenetzes. Bisher war die Kühle aus der Ferne primär gewerblichen Großabnehmern vorbehalten.

Obwohl in den vergangenen Wochen ganz Österreich unter der Hitze stöhnte, ließen die Rekordtemperaturen einige Wiener im sprichwörtlichen Sinne kalt. Es handelte sich um die Bewohner von rund 80 neuen Wohnungen im Althan-Park, die kürzlich an das Fernkältenetz angeschlossen wurden. Eine Premiere: Erstmals kamen in Wien auch Privatpersonen in den Genuss der angenehmen Kühle aus der Ferne, die bisher nur gewerblichen Großabnehmern oder öffentlichen Einrichtungen wie der Universität Wien oder dem AKH vorbehalten war. Die Nutzer brauchen sich auch nicht mit einem schlechten Gewissen in Sachen Klimaschutz herumschlagen, denn, „das ist eine sinnvolle umweltfreundliche Alternative zu Klimaanlagen“, sagt der Weatherpark-Stadtklimatologe Matthias Ratheiser. „Herkömmliche Klimaanlagen hingegen blasen die heiße Luft nach draußen und tragen so ebenfalls zur Erwärmung der Umgebung bei.“ Anders bei der Fernkälte: Zu deren Erzeugung wird mittels „Absorptionskältemaschinen“ meist Abwärme aus der Industrie, von Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen (KWK) oder der Abfallverbrennung genützt, die ohnehin das ganze Jahr anfällt. Isolierte Rohre transportieren das auf fünf bis sechs Grad Celsius gekühlte Wasser zum Kunden, wo es über das hauseigene Kühlsystem im Gebäude verteilt wird. Von dort fließt es mit einer Temperatur von etwa 16 Grad Celsius zur neuerlichen Abkühlung wieder zurück. Dadurch können Strom und Treibhausgasemissionen eingespart werden.

Fernkälteanlagen in Wien.
Fernkälteanlagen in Wien.APA

Absatz versechsfacht

Der Bedarf hat sich in den vergangenen Jahren stark erhöht, wie die Zahlen zeigen: Insgesamt lieferten die heimischen Energieversorger im Vorjahr 160 Gigawattstunden (GWh) an Fernkälte – um 8,1 Prozent mehr als noch 2017. Damit hat sich der Verkauf umweltschonender Kühlung hierzulande von rund 25 GWh im Jahr 2009 mehr als versechsfacht. „Langfristige Prognosen zeigen, dass vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung in Österreich in 20 Jahren etwa gleich viel Kühl- wie Heizenergie benötigt werden wird“, sagt Peter Weinelt, Obmann des Fachverbands Gas Wärme (FGW) und stellvertretender Generaldirektor der Wiener Stadtwerke. Angesichts der steigenden Nachfrage baut das Unternehmen massiv aus: Insgesamt sollen bis 2024 weitere 65 Millionen Euro in den Fernkälteausbau fließen. Auch in Städten wie Linz und St. Pölten werden mittlerweile Gebäude mit Fernkälte gekühlt, in Mödling läuft aktuell ein Testbetrieb in einem 400 Quadratmeter großen Bürohaus. In St. Pölten wird etwa das Universitätsklinikum mit Fernkälte beliefert, „wir führen aber auch Gespräche mit anderen potenziellen Abnehmern wie der FH St. Pölten“, berichtet Erwin Ruttner, Geschäftsführer von Fernwärme St. Pölten. Kälte gäbe es genug: Rund 7,5 Megawattstunden Fernkälte werden aktuell erzeugt, rund zwölf MWh könnten geliefert werden. „Das Problem sind die Leitungen“, sagt Ruttner. Man könne die Fernkälte nicht einfach durch die Rohre der Fernwärme schicken. „Vor allem dann nicht, wenn mit der Fernwärme Warmwasser erzeugt wird. Da braucht man ein eigenes Netz“, betont der Geschäftsführer.

Anschluss an Zentrale Spittelau

Nichtsdestoweniger rücken allmählich auch Privatabnehmer in den Fokus der Anbieter. Im Fall des Wohngebäudes im Althan-Park, das im Vorjahr von den Immobilienentwicklern 6B47 Real Estate Investors realisiert wurde, hatte es Wien Energie recht einfach. Die Fernkältezentrale des Unternehmens liegt mit Spittelau in relativer Nähe, für die Verbindung zum Althangrund musste lediglich eine zusätzliche Versorgungsleitung in Richtung Franz-Josefs-Bahnhof errichtet werden. Bisher deckte das Leitungsnetz der Spittelau vor allem den Bereich um die Heiligenstädter Lände beziehungsweise entlang des Währinger Gürtels ab. In dieser Gegend sind wichtige öffentliche Gebäude wie das AKW, die Universität für Bodenkultur (Boku) oder das Ö3-Gebäude beheimatet, die allesamt mit Fernkälte versorgt werden. Peter Ulm, Vorstandsvorsitzender von 6B47, begrüßt die Initiativen im Privatkundenbereich. Solche Maßnahmen, betont er, seien essenziell, um im Rahmen einer Immobilienentwicklung und späteren Nutzung einen wichtigen Beitrag für ein effektives Energiemanagement leisten zu können. „Innovationen dieser Art zahlen wesentlich in den Klimaschutz sowie in eine Immobilie ein und schaffen insgesamt auch Werte für die nächsten Generationen.“

Was Sie wissen sollten über . . . . . . Fernkälte

Info 1

Erzeugung. Die Erzeugung von Fernkälte erfolgt zum größten Teil in sogenannten Absorptionskältemaschinen, für deren Antrieb anstelle von Strom Wärme verwendet wird. Von den Fernkältezentralen gelangt das etwa sechs Grad kalte Wasser über ein separates Kältenetz zu großen Abnehmern in der Stadt und wird schließlich dort in die eigenen Kühlsysteme eingespeist.

Info 2

Verteilung. Aktuell sorgen in Wien insgesamt 16 Fernkältezentralen dafür, dass es an Hitzetagen kühl bleibt. Über das mehr als zwölf Kilometer lange Fernkältenetz mit einer Fernkältegesamtleistung von rund 130 Megawatt (MW) werden Kunden im gesamten Wien versorgt. In den nächsten fünf Jahren will Wien Energie rund 65 Mio. Euro in den Ausbau der Fernkälte investieren.

Info 3

Abnehmer. Das Fernkältenetz in Wien und anderswo ist derzeit hauptsächlich auf große gewerbliche Abnehmer (Hotels, Büros) oder öffentliche Einrichtungen (Spitäler, Universitäten, Bahnhöfe) zugeschnitten. In Wien wurde erstmals Anfang Juli ein Wohnhaus am Althangrund im neunten Bezirk an das Fernkältenetz angeschlossen. Weitere Projekte sollen folgen.

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