Der Innenminister a. D. ist einer, aber nicht der einzige Grund, gegen Türkis-Blau II zu sein. Und vielleicht könnten alle ein bisschen die Emotion rausnehmen. Danke.
„Nur, weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“ Das wahlweise Woody Allen oder Henry Kissinger in den Mund gelegte Zitat könnte auch das Lebensmotto des Innenministers a. D., Herbert Kickl, sein. Der Robespierre der FPÖ wittert überall Verschwörungen und wäre als Korruptionsstaatsanwalt eine bessere Wahl. Man muss nicht Alexander Van der Bellen heißen, um der tiefen Überzeugung zu sein, dass dieser Mann besser kein Ministerium führen sollte. In unserem Premium-Videoformat „13 Fragen an“ geht Kickl erstmals auf eine Darstellung von Sebastian Kurz ein, der behauptet, in Gesprächen zwischen ihm und den FPÖ-Regierungsmitgliedern Heinz-Christian Strache und Kickl habe Letzterer ständig davon gesprochen, gegen die Urheber des Ibiza-Videos ermitteln lassen zu wollen – aber nicht wegen des Gesprächsinhalts. Kickl sagt nun, dass er ähnliche Vorgänge bei anderen Politikern vermute. Sein Verdacht: Erpressungen mit dem Ibiza-Video ähnlichem Material hätten diverse Rücktritte ausgelöst. Die Öffentlichkeit müsse das erfahren. Entweder weiß der Kurzzeit-Innenminister Dinge aus seiner Amtszeit, die wir nicht kennen, oder es gibt eine landesweite Verschwörung, an der sich alle Medien beteiligen: Matthias Strolz, Reinhold Mitterlehner, Christian Kern, Eva Glawischnig, Werner Faymann, Michael Spindelegger und Josef Pröll. Das ergibt eine ganze Videothek!
Im Ernst: Es waren bei fast allen Zurückgetretenen private Entscheidungen – oder parteipolitischer Druck. Um diesen zu verfolgen, reichte die Lektüre von einigermaßen informierten Medien. Kickl vermutet natürlich, dass die Journalisten Teil aller Verschwörungen sind.
Es ist zwar verständlich, dass mit Kickl eine einzige Person die Frage Türkis-Blau entscheiden könnte. Das gelang nicht einmal Jörg Haider mit Schwarz-Blau so deutlich. Aber mit oder ohne Kickl: Türkis-Blau wird nicht mehr funktionieren. So gut der ein oder andere Reformansatz in der Wirtschafts- und Steuerpolitik war, die täglichen Rülpser, Provokationen und Korruptionsbereitschaft aus der FPÖ-Ecke gepaart mit Umfragen-Ängstlichkeit der Kurz-Truppe sind kein Fundament für eine langfristig angelegte Regierung. Daher könnte die politische Debatte wieder vom neuen FPÖ-Märtyrer ablassen. (Stimmt, dass er Objekt dieses Kommentars ist, ist dabei wenig hilfreich.)
Irgendwer wird dieses Land nach der Nationalratswahl regieren müssen. Auch wenn die Abneigung aller anderen Parteien gegen die ÖVP und Kurz massiv ist, wird irgendwer den Juniorpartner geben müssen. Dass der junge Mann bisher bei allen politischen Mitbewerbern verbrannte Erde hinterlassen hat, sollte seinen Beratern vielleicht zu denken geben. Begriffe wie Pyrrhussieg und Hybris lassen sich leicht googeln. Und die anderen Parteichefs seien erinnert: Gegen Kurz zu sein, ist noch kein politisches Konzept. Dass etwa in der SPÖ der Hass auf Kurz ausgeprägter ist als auf die FPÖ, wäre ein guter Anlass, der Allgemeinmedizinerin einen Therapeuten für die Führung der Partei beizustellen. Anders formuliert: Geht das alles mit weniger Emotion? Es geht um die künftige Regierung unseres Landes, nicht um eine Netflix-Serie.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2019)