Salzburger Festspiele: Jedermann als kleiner Faust

(c) Salzburger Festspiele Matthias Horn
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Tobias Moretti ist ein seriöser Jedermann, Valery Tscheplanowa eine Buhlschaft, die singt und über den Dingen steht. Über Gregor Bloeb als teuflischer Gesell kann man lachen, das Wetter spielte bei der Premiere vorbildlich mit.

Als dem Jedermann an der Festtafel bang wird, zucken ferne Blitze; als er mit seinen Werken konfrontiert wird, beginnt ein Sturm; und als der Teufel seine Seele verlangt, fallen schwere Regentropfen: Es ist auch im barocken Theater-Salzburg nicht selbstverständlich, dass das Wetter beim „Jedermann“ so mitspielt wie bei dieser heurigen Premiere.

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Michael Sturmingers Inszenierung hat sich das verdient, sie ist konziser geworden, geradezu schön und klar, soweit das möglich ist bei diesem archaisierenden geistlichen Spiel, das nun endet, indem Jedermann den Tod umarmt. Dieser hat ihn in mancher Gestalt umgarnt, zu Beginn als Spielansager, stark tätowiert, im Kapuzenmantel, beim Gastmahl in drag, in Robe und mit hochhackigen Schuhen, dann wieder männlich: So oder so, Peter Lohmeyer, seit 2013 dabei, versteht sein Geschäft, wenn er sich outet („Ich bin der Tod!“), dann kippt die Spielfläche, die Tische fallen, und Jedermann stürzt zum ersten Mal.

Jedermann plant den Dom um

Der beleuchtete Dom.
Der beleuchtete Dom.APA/BARBARA GINDL

Tobias Moretti ist ein recht unsinnlicher Jedermann, in Angst und Not überzeugt er. Weniger in Saus und Braus: Er gibt keinen Lebemann, keinen rasenden Buben, wie das 2018 der bejubelte Einspringer Philipp Hochmair tat (der am Freitag bei seinem „Jedermann“-Abend in Bad Vöslau in voller Kleidung ins Schwimmbecken sprang), eher einen planenden Unternehmer. Einen Mann der Wirtschaft, der großen Projekte, für den das Geld eine sehr ernsthafte Angelegenheit ist, der dem Schuldknecht (als gescheiterter und dadurch zur Einsicht gekommener Gegenpart zu Jedermann: Michael Masula, erfreulich wenig kläglich), glaubhaft vorwirft, dass er es gering achtet. Durch den geänderten Stücktext – Jedermann will sich nicht nur ein Lusthäuschen errichten, sondern den ganzen Dom umbauen, alle Heiligen entfernen – wird das Faustische im Jedermann betont.

Zumindest das Möchtegern-Faustische: Auch er wäre gern der Geist für tausend Hände, doch das geht halt nicht im katholischen Salzburg. Das bei Hofmannsthal nicht konsequent gegenreformatorisch ist: Als ihn der Glaube bedrängt, bekennt sich Jedermann zu den „zwölf Artikeln“ (in diese fassten die radikal protestantischen Bauern 1525 ihre Forderungen); und im Ringen für seine arme Seele spielt der Glaube – makellos ernst, streng und mönchisch: Falk Rockstroh – doch eine gewichtigere Rolle als die Werke. Diese verkörpert Mavie Hörbiger: Schwach, zerzaust und doch irgendwie sexy, erscheint sie fast als Jedermanns letzte Liebe.

Erst silberner Hosenanzug, dann rote Robe

Die Buhlschaft ist das offenbar nicht in dieser Inszenierung: So vorbildlich rot ihr Kleid ist – das ist wichtig in Salzburg, das erklären einem Kellner und Taxifahrerinnen –, Valery Tscheplanowa wirkt nicht wie eine Bettgenossin, eher wie eine gute Freundin, die halt so lange bleibt, wie's vernünftig ist und nicht länger. Ein anderer Jedermann wird sich finden, vielleicht sogar einer mit mehr Feuer . . . Dass sie über den Dingen steht, unterstreicht ihr erster Auftritt im glitzernden Hosenanzug als Chanteuse. Die Vergänglichkeit ist für sie kein Problem, die Melancholie, die ihren Freund befällt, ist ihr fremd. Moretti spielt die „Trockenheit im Hirn“, indem er die Hände an die Schläfen presst wie bei Migräne. Eine gelungene Szene, auch weil man sie als weiteren Hinweis auf das Faustische in Jedermann deuten kann: In Thomas Manns „Doktor Faustus“ äußert sich der (syphilitische) Teufelspakt in Migräne-Kopfweh. Vor allem aber unterstreicht sie die Einsamkeit Jedermanns: Er ist unter Allegorien die einzige fühlende Brust. Auch seine Mutter – damenhaft: Edith Clever – ist nur eine verkörperte Mahnung, sie kommt ihm nicht nahe.

Bloéb spielt mit seinem Pferdeschwanz

Einer tut zumindest so, als ob er Jedermann nahe sei: der gute Gesell, der natürlich etwas Teuflisches an sich hat – und konsequenterweise in Salzburg seit 2002 mit dem Teufel zusammengelegt wird (damals spielte Moretti diese Rollen!). Ein Faust braucht eben seinen Mephisto. Gregor Bloéb, Morettis Bruder, ist als Gesell im hellen Anzug einwandfrei teuflisch, als Teufel in zünftig höllischer Montur – mit Hosenträgern auf nackter Haut! – hat er zu wenig vom Gesellen, dafür zu viel von einem Rumpelstilzchen, er grimassiert, hüpft, purzelt, spielt mit seinem Pferdeschwanz, bis dieser ihm abgenommen wird.

Jedermann 2019: Mavie Hörbiger (Werke), Gregor Bloéb (Teufel), Falk Rockstroh (Glaube)
Jedermann 2019: Mavie Hörbiger (Werke), Gregor Bloéb (Teufel), Falk Rockstroh (Glaube)(c) Salzburger Festspiele: Matthias Horn

Aber das muss offenbar so sein in Salzburg: Über den Teufel will man lachen, das befreit die Seelen. Und er muss verlieren, im Gegensatz zur zweiten Figur, die komisch angelegt wird: dem Mammon. Christoph Franken im goldenen und goldigen Kostüm lacht viel und laut über Jedermanns Illusion, dass er Herr des Geldes sei.

Gott dagegen erscheint nicht persönlich, auch nicht als armer Nachbar (genretypisch: Helmut Mooshammer), und seine Rede wird verlegt, vom Beginn des Dramas in die Mitte, vors finale Fest. Sie zeigt sich auf der Bühne als Schrift, sola scriptura, eine weitere protestantische Pointe in dieser Inszenierung. Die ihre erfreulich ernste, wenig burleske Aura nicht zuletzt Wolfgang Mitterers zwischen Barock und freiem Jazz irrlichternder Musik verdankt. In ihr klingt durchs Festliche die Angst, und wenn es ernst wird, deutet sie an, dass alles nur ein Spiel sein könnte. Aber nicht wirklich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2019)

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