Ein Aktivist, der an einer Sitzblockade teilgenommen hatte, landete vor dem Strafrichter. Hat er sich der Polizei widersetzt? Oder wendete die Polizei übermäßige Gewalt an?
Wien. Man muss hier aufpassen, dass man die Rollen nicht verwechselt. Da der junge Klimaaktivist, der am 31. Mai an einer Blockade des Rings nahe der Urania teilgenommen hat – dort die Polizei, die die Blockade aufgelöst hat. Da der junge Aktivist, der sich laut Polizeibericht durch Schläge und Tritte einer Amtshandlung entziehen wollte – dort die Uniformierten, die in einigen Fällen rohe Gewalt anwendeten.
Am Montag begann in Wien der erste Klimademo-Prozess. Beschuldigt war aber nicht etwa einer der Polizisten, die – wie auf sozialen Netzwerken kursierende Videos belegen – reichlich „Körperkraft“ gegen die Demonstranten anwendeten. Beschuldigt war der eingangs erwähnte junge Mann, ein 21-jähriger deutscher Student der Politikwissenschaften. Ihm wurde versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. „Nicht schuldig“, sagte dazu Simon F.
„Die Klimakrise zerstört die Lebensgrundlagen der Menschen. In Österreich ist der Verkehr das große Problem. Ungehorsam ist ein notwendiges und legitimes Mittel.“ Mit Sätzen wie diesen platzierte Simon F. die Botschaften im Gerichtssaal, auf die es den Aktivisten auch am 31. Mai angekommen war. Als die damals abkommandierten Polizisten den Befehl bekommen hatten, den Kreuzungsbereich bei der Urania (erster Bezirk) für den Verkehr wieder frei zu machen, kam es zu Szenen, die später hitzige Debatten um Polizeigewalt auslösen sollten.
Am bekanntesten wurden zwei bestimmte Videos: Eines zeigt, wie Polizisten einen Aktivisten am Boden in Bauchlage fixieren, wobei der Kopf des Mannes unter einem Polizeibus liegt. Dieser fährt an, die Beamten ziehen den gefesselten Demonstranten gerade noch weg. Ein anderes Video zeigt eine gewaltsame Festnahme: Ein Beamter versetzt einem sich wehrenden Aktivisten, dem Handfesseln angelegt werden sollen, Faustschläge in die Nierengegend. Die Polizei rechtfertigte dies später. „Gezielte Fauststöße“, so hieß es, seien in bestimmten Fällen ein erlaubtes Mittel, um Festnahmen durchführen zu können.
Zurück in den Gerichtssaal. Viele Zuschauer, darunter etliche Klimaaktivisten (Botschaft: „Gerichte nur zum Essen, Freiheit für alle!“) hörten nun zu, wie F. seinem Richter, Christian Noe, erklärte, er habe nur passiven Widerstand geleistet. Er sei aus der Sitzblockade herausgelöst und zu Polizeifahrzeugen (im Beamtenjargon: „Wagenburg“) getragen worden. Die Szene mit dem Demonstranten, dessen Kopf unter dem Polizeibus lag, habe er mitbekommen, so F. „Es hat mich ziemlich geschockt, dass die Polizei so agiert. Das hat meine Kooperationsbereitschaft beeinflusst.“
Er habe seinen Rucksack nicht öffnen wollen. Die Polizei hatte darin gefährliche Gegenstände befürchtet. Dann sei er aus sitzender Position „zur Seite gehauen“ worden, „da ist mein Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen“. Eine blutende Wunde an der Stirn sei die Folge gewesen. Letztlich sei er von vier oder fünf Beamten fixiert worden. Sein Rucksack sei durchsucht worden.
Beschwerde gegen die Polizei
Der Anwalt des Studenten, Clemens Lahner, hat indessen beim Landesverwaltungsgericht Wien eine Beschwerde gegen die Polizei eingebracht. Zwei Beamte, welche die Festnahme von F. mit anderen durchgeführt hatten, gaben nun als Zeugen an, der Student habe um sich getreten und mit den Armen um sich geschlagen. Einer der beiden Zeugen bestätigte zudem, dass auch F. – so wie der Aktivist, dessen Festnahme auf Video festgehalten wurde – Faustschläge bekommen habe. F. sei aber auch „sehr wild, sehr unberechenbar“ gewesen.
Derartige Faustschläge wurden sowohl bei der prozessgegenständlichen als auch bei der auf Video festgehaltenen Amtshandlung von ein und demselbem Beamten ausgeteilt. Dieser hätte am Montag als Zeuge aussagen sollen. Er ließ sich aber wegen einer schon länger gebuchten Urlaubsreise entschuldigen. Daher wurde der Prozess auf 7. Oktober vertagt.
Es könnte sein, dass ebendieser Beamte auch in einer anderen Rolle vor Gericht erscheinen muss. Nämlich als Beschuldigter. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung ermittelt. Wie gesagt: Man muss hier aufpassen, dass man die Rollen nicht verwechselt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2019)