Die britischen Konservativen haben einen neuen Chef gewählt. Die Entscheidung hat großen Einfluss auf den EU-Austritt. Johnson bekräftigt, den Brexit bis 31. Oktober vollziehen zu wollen. Dafür nimmt er einen No Deal in Kauf.
Boris Johnson hat es geschafft: Schon als kleines Kind wollte er „König der Welt“ werden. Am Dienstag wählte ihn die Konservative Partei zum Nachfolger für Premierministerin Theresa May: Der 55-Jährige ist neuer Chef der Tories und der 77. britische Premierminister. Er hat mit 92,153 der Stimmen 66 Prozent der konservativen Abgeordneten - und 0,34 Prozent aller britischen Wähler - hinter sich. Sein Gegenspieler Jeremy Hunt erhielt 46,656 der Stimmen.
„Danke für diese unfassbare Ehre“, sagte Johnson in seiner Siegesrede und dankte seiner Vorgängerin May. Großbritannien stehe an einem historischen Wendepunkt, meinte er. Seine Partei müsse zwei sich widersprechende Instinkte miteinander vereinbaren: Den Instinkt, mit anderen - der EU - zusammenzuarbeiten. Und den Instinkt nach demokratischer Selbstverwaltung. „Wir können das und wir werden es machen“, sagte Johnson - und zwar bis zum 31. Oktober. Er setzte sich gleich mehrere Ziele als neuer Parteichef: Den Brexit zu vollziehen, das Land zu vereinen und Labour-Chef Jeremy Corbyn zu besiegen.
Die Wahl des Exzentrikers hat großen Einfluss auf den EU-Austritt. Der Brexit-Hardliner will Großbritannien notfalls auch ohne Abkommen aus der Europäischen Union führen. Er fordert von den restlichen EU-Mitgliedsstaaten Neuverhandlungen des Brexit-Deals. May war mit ihrem mit Brüssel ausgehandelten Abkommen bereits drei Mal krachend im Parlament durchgefallen: Die Parlamentarier sind sich nicht einig, ob und wie Großbritannien aus der EU aussteigen soll.
Ein solcher harter Brexit hätte für die Wirtschaft schwere Folgen, da es zu einer Wiedereinführung von Zöllen kommen könnte. Massive Staatsinterventionen werden nötig sein, um die Folgen eines No-Deal-Brexit aufzufangen. (Noch-)Schatzkanzler Philipp Hammond beziffert sie auf 90 Milliarden Pfund. Hammond hatte ebenso wie Justizminister David Gauke seinen Rücktritt angekündigt, um einen No Deal vom Parlament aus zu verhindern.
Johnson wird alles tun, um Premier zu bleiben
Doch nicht nur Großbritannien würde leiden: Am meisten betroffen von allen verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten wäre Irland. Der Nachbarstaat würde im Fall eines chaotischen EU-Austritts um rund 3,5 Milliarden Euro beziehungsweise 1,24 Prozent der irischen Wirtschaftsleistung ärmer werden. Die EU bereitete bereits Nothilfepläne vor, um das Mitgliedsland im Notfall unterstützen zu können.
In Brüssel bleibt man zumindest in einer Sicht hart: Das Austrittsabkommen soll nicht mehr aufgeschnürt werden. Lediglich Modifikationen an der begleitenden politischen Erklärung sollen möglich sein. Doch die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte bereits an, dass sie grundsätzlich zu einer weiteren Verschiebung des Brexit bereit sei. In Brüssel wird jedenfalls jetzt schon damit gerechnet, dass es Ende Oktober noch einmal einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs gibt, um zu besprechen, ob eine erneute Verschiebung des Austrittsdatums möglich ist.
Ob Johnson, wenn es hart auf hart kommt, tatsächlich bei seiner No-Deal-Linie bleibt, ist aber fraglich: Der Provokateur vertritt heute gänzlich andere politische Prinzipien als noch in seiner Zeit als Londoner Bürgermeister. Er sei darauf aus, Premierminister zu bleiben, sagte der Politologe Tim Bale im Interview mit der „Presse“: „Wenn er der Meinung ist, er kann das durch Erzwingen eines No-Deal-Brexit erreichen, dann wird er das machen. Wenn er glaubt, er muss im letzten Moment aus einem No-Deal-Brexit aussteigen, dann wird er stattdessen diesen Weg wählen.“
Beobachter sagen ihm ohnehin nach, er wolle Neuwahlen ausrufen: Denn Johnson sieht sich dem Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, überlegen.
Johnson will Beziehungen zu Trump kitten
Unterstützung erhält der ehemalige britische Außenminister von der anderen Seite des Atlantiks: US-Präsident Donald Trump hat klargemacht, dass Johnson seinen Segen hat. Trump war auch einer der ersten Gratulanten: „Er wird großartig sein", erklärte Trump am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter. Johnson will das schwer zerrüttete, transatlantische Verhältnis auf neue Beine stellen und träumt von einem Megahandelsvertrag mit den USA.
Sorgen, dass der Bruch mit der EU, Großbritanniens größtem Handelspartner, nachhaltige Schäden davon tragen wird, wischt er beiseite. Er propagiert die Wiederauferstehung des britischen Empire. Steuersenkungen für Unternehmen und Besserverdienende, niedrigere Versicherungsbeiträge für Geringverdiener, Freihandelszonen - der Bevölkerung schwärmt er bereits von seinem milliardenschweren Zukunftsplan vor.