Schifffahrt: „Rinnsal“ Rhein bedroht die Industrie

Erstmals seit Menschengedenken ist im Vorjahr der rege Schiffsverkehr auf dem Rhein zum Erliegen gekommen (Archivbild: Sommer 2018).
Erstmals seit Menschengedenken ist im Vorjahr der rege Schiffsverkehr auf dem Rhein zum Erliegen gekommen (Archivbild: Sommer 2018).(c) REUTERS (WOLFGANG RATTAY)
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Der Transport auf Europas wichtigster Wasserstraße droht auch heuer wegen Hitze und Dürre zum Erliegen zu kommen. Die Wirtschaft erarbeitet Notfallpläne.

Berlin. Erstmals seit Menschengedenken ist im Vorjahr der rege Schiffsverkehr auf dem Rhein zum Erliegen gekommen. Schwere Dürre und die abschmelzenden Gletscher in den Alpen haben den größten Fluss Europas, der einen extrem wichtigen Transportweg darstellt, unpassierbar gemacht. Was Ökonomen zufolge einer der Gründe für die Abschwächung des deutschen Wirtschaftswachstums im Vorjahr war.

Dieses historische Ereignis könnte sich in wenigen Wochen angesichts der dürftigen Regenfälle und der anhaltenden Hitze wiederholen. Denn schon jetzt ist der Pegel bei Stromkilometer 546 in Kaub in Rheinland-Pfalz auf etwa 150 Zentimeter gesunken – das ist die Hälfte des Stands vor einem Monat. Für den Schwerlasttransport gelten bereits Einschränkungen. Bei einem Wasserstand unter 50 Zentimeter muss sämtlicher Transport per Schiff eingestellt werden.

Europas wichtigste Wasserstraße fließt auf einer Länge von 1232,7 Kilometern durch die Schweiz, Deutschland und die Niederlande, bevor sie im größten europäischen Hafen Rotterdam in die Nordsee mündet. Der Rhein dient als Haupt-Schifffahrtsroute für Rohstoffe wie Öl und Güter von Kohle und Eisenerz bis hin zu Chemikalien, Düngemitteln und Autoteilen. Steht die Schifffahrt still, treibt das den Ölpreis in die Höhe.

Ohne Alternative

Für manche Unternehmen ist der Fluss alternativlos. „Wir bekommen 30 Millionen Tonnen Rohstoffe aus Rotterdam”, sagt Premal Desai, Leiter der Stahlsparte bei ThyssenKrupp. „Der Rhein ist für Thyssenkrupp Steel eine Überlebensfrage.“ ThyssenKrupp war im Vorjahr gezwungen, Lieferungen an Automobilhersteller wie Volkswagen einzuschränken. Zwar hat das Unternehmen bereits Flachbodenschiffe gekauft, aber selbst das ist keine echte Option. Auch andere Unternehmen entlang des Rheins – von Royal Dutch Shell bis BASF - intensivieren ihre Notfallplanung, zumal die heißen und trockenen Wetterbedingungen laut dem Wetterdienst Maxar mindestens noch zehn Tage anhalten werden. Dazu gehören der Kauf kleinerer Boote, die Buchung von Lkw- und Zugkapazitäten und eine Erhöhung der Lagervorräte.

Im Vorjahr musste das Atomkraftwerk Philippsburg gedrosselt werden, weil Kühlwasser fehlte.

Bestrebungen, die Auswirkungen eines erneuten Stopps der Rheinschifffahrt – der Deutschland und die Schweiz 2018 dazu veranlasste, Benzin-Notreserven anzuzapfen – abzuschwächen, sind lediglich Notlösungen. Denn die Kapazität auf der Straße und auf der Schiene ist begrenzt. Zudem ist der Transport viel teurer als per Schiff und weit weniger umweltfreundlich. Dazu kommt, dass aufgrund des bevorstehenden Brexits quasi keine Lager entlang des Rheins verfügbar sind. Die Situation dürfte sich in Zukunft wiederholen, wie viele Studien zeigen. Daran ändert auch nichts, dass der Bau großer Speicherseen in den Alpen in den sechziger und siebziger Jahren zu weniger starken Schwankungen des Wasserpegels geführt hat.

Deshalb nimmt nun die Industrie die Politik in die Pflicht. Bundes-Verkehrsminister Andreas Scheuer sagte auf einem Experten-Treffen im Juni, Niedrigwasser schade der deutschen Wirtschaft und habe Konsequenzen für den Wohlstand des Landes.
(Bloomberg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2019)

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