Getauft mit Salz des Toten Meeres

Landau versenkt Alltägliches im Toten Meer – und holt es als Salz gewordene Melancholie wieder heraus.
Landau versenkt Alltägliches im Toten Meer – und holt es als Salz gewordene Melancholie wieder heraus.(c) Y. From
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Die bildgewaltigste zeitgenössische Künstlerin Israels hat diesen Sommer einen großen Auftritt im Museum der Moderne in Salzburg. Mit alchemistischen Salzobjekten.

Was für ein magisches Schauspiel. Ganz oben auf dem Mönchsberg, im obersten Stock des Museums der Moderne, schweben geisterhaft glitzernde Objekte, die Traumhaftes bis Traumatisches triggern: ein Cello, ein Ballett-Tutu, eine Totenbahre, schwere, gefaltete Stoffe – alles überzogen mit einer dicken weißen Schicht Salzkristalle. Sie stammen aus der Tiefe, nicht aus Halleins Salzwelten, sondern vom tiefsten oberirdischen Punkt der Erde, dem Toten Meer. Die wohl bildgewaltigste zeitgenössische Künstlerin Israels, Sigalit Landau, hat diesen unwirklichen Ort, flirrend vor Mineralien, Geschichten und geopolitischen Spannungen, vor 15 Jahren zu ihrem künstlerischen Verbündeten gemacht. Für Monate versenkt sie in einer Art alchemistischen Zeremonie Alltagsgegenstände in den Fluten, „tauft“ sie dadurch, wie sie es nennt. Heraus kommt das Paar Schuhe, das Fischernetz, das Kleid etc. als mit Salz und Bedeutung derart überfrachtetes Symbol, dass es einen selbst erstarren lässt. Zur Salzsäule wie Lots Frau zum Beispiel.

Denn Landau versenkt ihre Objekte nicht irgendwo, sondern in Sodom, was heute allerdings nicht die alttestamentarische Stätte bezeichnet, die man in der Nähe nur erahnen kann, sondern ein gleichnamiges israelisches Industriegelände. Für Landaus Erzählung ist dieser Name dennoch essenziell, der Name des Sündenpfuhls, dem Lot mit Frau und Töchtern entflohen sein soll. Die Gattin aber drehte sich noch einmal um, verbotenerweise. Der Rest ist bekannt.

Ein Zurückblicken wäre Gift gewesen

Was als Akt des Mitleids, ja der Solidarität mit den Verlorenen interpretiert werden kann, machte ihr eine Zukunft jedenfalls unmöglich. Genau wie es die Generation von Landaus vor den Nazis aus Wien geflüchteten Großeltern lernen musste – „zurückzublicken wäre Gift für sie gewesen“, so Landau in einem „Presse“-Interview anlässlich ihrer ersten großen Ausstellung in Österreich 2016 bei den Wiener Festwochen. Damals standen ihre vordergründig politischeren Videoarbeiten im Zentrum. In Salzburg sind diese jetzt geschlossen im Rupertinum zu sehen. Dort dreht sich alles – vom Hula-Hoop-Reifen aus Stacheldraht, der sich in die nackten Hüften der Künstlerin bohrt, bis zur riesigen Spirale aus teils aufgebrochenen roten Melonen, die im Toten Meer schwimmt – ein Glied davon der Körper der Künstlerin selbst. In ihren Videos geht es oft um das Setzen von Zeichen, ob auf Körpern oder in Wasser, Sand, Landschaft. Man merkt bald, dass die 1969 in Jerusalem Geborene ausgebildete Tänzerin ist.

Das Tänzerische ist auch die fragile Brücke zwischen den Videos im innerstädtischen Rupertinum und den Salzobjekten am Mönchsberg – diese Zerrissenheit eines Werks kann man im besten Fall ebenfalls als politische Symbolik interpretieren, im schlechtesten als Platzmangel aufgrund falscher Planung. Lassen wir es gut sein. Sehen wir diese räumliche Trennung als Aufforderung, uns zu bewegen. So wie Landau uns auffordert, selbst die Bühne zu betreten, den Tanzboden, den sie unter die einzelnen Installationen ihrer Salzobjekte legen ließ. Ganz nahe kann man ihnen so kommen, kann sie umkreisen, unter ihnen durchtauchen. Wobei sich der Zauber nach der vierten, fünften ähnlich aussehenden Situation verliert. Man hat das System verstanden, die Szenerien ähneln sich zu sehr, auch wenn sie bis ins Abstrakte gleiten, bis zur Idee eines Mobiles aus geometrischen Formen, die sich dann als Formen aus sehr realistischem Stacheldraht entpuppen.

Landau geizt weder mit Schönheit noch mit Schrecken. Ein schönes Bild dafür ist die etwas abseits hängende Fotoserie, die den Prozess der Kristallisation als Rückführung der Rückführung beschreibt: Ein sehr ungewöhnliches schwarzes Hochzeitskleid wurde hier fotografiert, wie es im Meereswasser Schritt für Schritt zu einem gewöhnlichen weißen Hochzeitskleid wird. Es zitiert dabei den 1920 uraufgeführten jüdischen Theaterklassiker „Der Dibbuk oder zwischen zwei Welten“, in dem ein unglücklich Liebender die ihm Versprochene durch Alchemie gewinnen will und stirbt. Wie sie, am Tag ihrer Hochzeit mit einem anderen. Erst im Tod vereinen sich die beiden Geister. So wird alles anders, manchmal sogar besser, aber nie wieder gut.

Bis 17. 11., während der Festspiele ist das Museum der Moderne täglich geöffnet, 10–18 Uhr, Mi 10–20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2019)

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