Was nach dem Schreddern bleibt

Die ÖVP versuchte schon bevor das Misstrauensvotum fix war, sich auf eine Abwahl ihrer Expertenregierung vorzubereiten.
Die ÖVP versuchte schon bevor das Misstrauensvotum fix war sich auf eine Abwahl ihrer Expertenregierung vorzubereiten.(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Fünf Festplatten aus dem einst türkisen Kanzleramt wurden zerstört – auf eine eher unübliche Art und Weise. Das wirft Fragen auf. Nicht alle wurden bisher ausreichend beantwortet.

Es könnte ein dummer Fehler eines Mitarbeiters sein, ein Missverständnis in turbulenten Zeiten. Oder aber eine Vertuschungsaktion im ehemals türkisen Bundeskanzleramt. Dass ein Kanzleramtsmitarbeiter unter dubiosen Umständen fünf Festplatten hat vernichten lassen, wirft jedenfalls Fragen auf. Die Grünen fordern bereits einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Liste Jetzt will zumindest eine Sondersitzung im Nationalrat abhalten – die Unterstützung von SPÖ und FPÖ ist allerdings unsicher. Ein Überblick über die offenen Punkte der „Schredder-Affäre“:

1. Ein nervös wirkende Kanzleramtsmitarbeiter ließ Daten unter falschem Namen vernichten.

Es gibt in der Geschichte einen „unkorrekten Teil“. Das gesteht selbst die ÖVP ein. Dieser hat viel mit „Walter Maisinger“ zu tun. So hieß der Mann, der die fünf Festplatten bei der Firma Reisswolf hat vernichten lassen und von dem man inzwischen weiß, dass es Arno M., ein nicht unwichtiger Mitarbeiter des Bundeskanzleramts war. Dass jemand „unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten hat vernichten lassen“, sei in der 25-jährigen Firmengeschichte „noch nie passiert“, sagte Geschäftsführer Siegfried Schmedler und beschrieb den Kunden als auffallend nervös. Als Arno M. dann auch die Rechnung über 76 Euro und 45 Cent nicht bezahlte, begann die Geschichte aufzufliegen. Doch weshalb der falsche Name? Es sei Arno M. wichtig gewesen, dass man nicht wisse, dass er vom Kanzleramt komme, so ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer in der „ZiB 2“. M. habe vermeiden wollen, dass vor dem Misstrauensvotum der Eindruck entsteht, dass man im Kanzleramt fix damit rechne, dass die Regierung den Antrag nicht überstehe.

2. Dienstliche Festplatten wurden persönlich zur externen Firma Reisswolf gebracht.

Ist das ein „üblicher Vorgang“, wie Altbundeskanzler Sebastian Kurz meinte? Auch abgesehen von den kuriosen Begleitumständen: eher nicht. Der Großteil der zu vernichtenden Datenträger wird intern geschreddert, externe Dienstleister holen Festplatten in der Regel selbst ab. Für die Entsorgung von zu vernichtenden Datenträgern gibt es klare ministeriumsübergreifende Regeln. Diese basieren auf dem Informationssicherheitsgesetz, erklärt Andreas Krisch, Geschäftsführer der Datenschutzagentur, früher Mitglied des Datenschutzrats. Und demnach ist „sicher nicht vorgesehen, dass jemand einfach so Festplatten zum Schreddern bringt“. Vielmehr muss der Vorgang dokumentiert werden (Wer hat wann wen beauftragt etc.?), bei wichtigen Daten gilt das Vier-Augen-Prinzip bei der Vernichtung. Es gibt zudem Vorschriften zum Transport der Daten. Nicht erfasst von den Vorschriften sind Stand-alone-Geräte, also mitgebrachte Geräte, die nicht im offiziellen System hängen. Das gibt es bei Kabinettsmitgliedern häufiger, das betrifft aber eher Laptops als Drucker. Dass die ÖVP die Aktion mit Angst vor internen Daten-Leaks begründet hat, empört den Beamtengewerkschafter Hannes Gruber: Das sei eine „Verleumdung der Kolleginnen und Kollegen“.

3. Geschreddert wurden nur fünf ausgewählte Festplatten – angeblich aus Druckern.

Im Kanzleramt gibt es wohl Hunderte Festplatten. Eingebaut in Computer, Kameras und Drucker. Nur fünf davon wurden geschreddert. Wobei ursprünglich von einer die Rede war. Es soll sich bei den fünf geschredderten Objekten um Druckerfestplatten handeln. So sagt es die ÖVP. Doch stimmt das? „Das ist genau unser Wissensstand“, sagt Nehammer. Auf diesen seien (zumindest die kürzlich) ausgedruckten, eingescannten und kopierten Dokumente gespeichert gewesen. Es könnte sich aber auch um Festplatten aus Computern handeln. Anhand der Seriennummer kann man das weder ausschließen noch bestätigen.

4. Bereits am 23. Mai wurden die Platten vernichtet. Die Angelobung war aber erst am 3. Juni.

Am 22. Mai rief der Mitarbeiter laut „Falter“ bei der Firma Reisswolf an, um die Festplatten dort vernichten zu lassen. Am Vormittag des 23. Mai ließ der Mann die Festplatten tatsächlich vernichten. Das Kabinett von Brigitte Bierlein wurde am 3. Juni angelobt. Für die Datenvernichtung hätte es also einige Zeit gegeben. Nun wird spekuliert, ob die angeblich gefälschten E-Mails zwischen Kurz und seinem Ex-Kanzleramtsminister Gernot Blümel dabei eine Rolle gespielt haben. Zur Erinnerung: Im Juni ging die ÖVP selbst an die Öffentlichkeit, um von einer Anfrage zu berichten. Das Onlinemedium eu-infothek.com wollte wissen, ob die Volkspartei schon im Jahr 2018 über das Ibiza-Video Bescheid wusste. Zugespielte E-Mails, deren Echtheit nicht überprüft werden konnten, würden das nahelegen. Der Mailserver soll exakt bis zum 23. Mai online gewesen sein.

5. M. kam angeblich selbst auf die Idee, die Festplatten extern schreddern zu lassen.

Arno M. sagte dem „Falter“, er habe „aus eigenem Antrieb“ heraus gehandelt. Laut Nehammer sei M.s Angebot, die Festplatten zu entfernen, aus „einem Gespräch mit dem Gruppenleiter im Kanzleramt und dem IT-Bereichsleiter“ heraus entstanden. Jetzt-Mandatar Peter Pilz glaubt, der Auftrag sei aus Blümels Büro gekommen, von einem Referenten des Ministers. Quellen nannte Pilz für seine These keine. M. gab wiederum an, sich mit einem IT-Beamten aus Blümels Kabinett abgestimmt zu haben. Auch habe der IT-Sicherheitsbeauftragte des Kanzleramts über die Aktion Bescheid gewusst. Aber wer traf die Anordnung letztendlich? Daran kann sich M. nicht erinnern. (ib/epos/uw/j. n.)

Auf einen Blick

Die Schredder-Causa wurde bekannt, weil der damalige Kanzleramtsmitarbeiter die Rechnung nicht bezahlt hatte. Über seine Telefonnummer wurde er ausgeforscht und angezeigt. Die „Soko Ibiza“ prüft nun, ob mit der Datenvernichtung Beweismittel unterschlagen wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2019)


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