Wer wählt die Clowns?

Von Boris Johnson, Beppe Grillo bis hin zu Donald Trump: Politiker, die mehr auf pikante Provokation als auf detaillierte Inhalte setzen, haben bei Wählern und in Parteien Aufwind. Was macht Sie so attraktiv? Ein Erklärungsversuch. Ein Dossier von Wolfgang Böhm, Susanna Bastaroli, Oliver Grimm, Gabriel Rath und Thomas Vieregge

Boris Johnson wurde diese Woche von zwei Dritteln der Tory-Mitglieder gewählt. Eine klare Mehrheit in der bald 200 Jahre alten Traditionspartei hielt den nicht besonders seriösen Journalisten, extrovertierten Ex-Bürgermeister von London und Kurzzeit-Außenminister für die beste Wahl. Sie verzeihen ihrem neuen Premierminister viele seiner Schwächen: die Unwahrheiten, den Narzissmus, die Provokationen und sogar sein zügelloses Privatleben. Johnson ist ihre Antithese zu der verlässlichen, aber spröden Theresa May. Denn er verbindet Humor mit einer Sprache, die das Volk versteht. Das macht ihn in gewisser Weise unangreifbar.



„Wenn wir jeden nach den dummen, unüberlegten Dingen beurteilen, die aus ihm einfach so herausplatzen, kommen wir gar nicht mehr voran“, relativiert Boris Johnson selbst seine schrägen, unsensiblen Pointen.

Diese Johnson-Weisheit dürfte heute als Richtschnur für den Erfolg in der Politik gelten. Denn von den USA über Europa bis hin nach Mittelamerika scheint sich ein neuer Typus durchzusetzen: der Clown – oder zumindest die clowneske Attitüde. In der Ukraine und in Guatemala sind mit Wolodymyr Selenskyj und Jimmy Morales einst erfolgreiche Komiker heute Präsidenten, in Italien hat der bissige Clown Beppe Grillo die römische Politik mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung auf den Kopf gestellt. Und Donald Trump mag vielleicht nicht wirklich lustig sein, aber er erzählt gern Witze und liebt die plumpe Provokation.

Fröhlicher Fatalismus und entlarvende Komik

Genauso wie Johnson und seine Polit-Komiker-Kollegen interessiert auch den US-Präsidenten mehr der Effekt seiner Aussagen als die Vermittlung allzu detaillierter Regierungspläne oder komplexer Inhalte. Denn ganz in der Tradition des Possenreißers im Mittelalter dienen heute in der Politik markante Provokationen als Katharsis für die Wähler: „Humor war schon immer die Art, etwas zu sagen, was man eigentlich gar nicht sagen darf; heute kann man dies auch in der Wahlkabine tun“, schrieb die britische Dramaturgin Jenny Lee in einem Essay für die britische „Financial Times“ zu Clowns in der Politik. „Komiker greifen politische Korrektheit und bestehende Machtstrukturen an. Wenn der Wähler für einen Komiker stimmt, tut er genau das: Er will, dass das Establishment auf einer Bananenschale ausrutscht.“ Lee weiß, wie Clowns und ihr Publikum ticken: Sie selbst wurde in der weltberühmten Clownschule in Paris ausgebildet.

„Clowns sind eigentlich unheimlich ernsthafte Personen. Ihre Rolle ist es, das Publikum über ihr Scheitern zum Lachen zu bringen“, analysiert die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Das sei auch übertragen zu verstehen: „So lachen wir über das Scheitern der EU, über das Scheitern des Brexit. Offensichtlich finden wir keine andere Auflösung in dieser Welt mehr, als sie lachhaft zu machen.“ Der clowneske Politiker sei nur ein Versuch, all die Tragik erträglich zu machen.

Denn wer Angst hat oder wer vor einem allzu komplexen Problem steht, flüchte gern in heiteren Fatalismus. Diese neue Variante von erfolgreichen Politikern muss ihre Versprechen deshalb gar nicht einhalten. „Jeder Clown bemüht sich, etwas zu machen, aber er schafft es nicht“, beschreibt es Guérot. Und Clowns müssen auch gar nicht mehr die Wahrheit sagen, Lügen werden auffallend schnell verziehen.

Verlässlichkeit und Seriosität sind Nebensache geworden. Sie und ihre Parteien werden gewählt, weil sie einen Kontrapunkt zu politischen Verantwortungsträgern darstellen, die über viele Jahre mit der Erklärung und Bewältigung komplexer Entscheidungsprozesse gescheitert sind.
Wofür dieser Politikertypus steht, ist weniger wichtig als wofür er nicht steht. „Es ist nicht zu verleugnen, dass Politik derzeit eher ein Entertainment ist als ein inhaltliches Programm“, ist der Oxford-Politologe Jan Zielonka überzeugt. „Die Menschen haben genug von professionellen Politikern und suchen deshalb nach Alternativen.“ Sie müssen, im Gegensatz zur Vergangenheit, weder schön noch korrekt noch besonders glaubwürdig sein.

Wer nicht lacht, der ist gegen uns

Der neue Politikertypus hat auch dank seiner Aggressivität – seiner Dauerattacken auf das „Establishment“ – Erfolg. Der Humor des Komiker-Politikers darf mitunter bösartig, verletzend und beleidigend sein. Und er ist gerade deshalb für einen Teil der Wähler attraktiv unkorrekt: Trump macht sich über behinderte Reporter lustig, beleidigt Frauen und Gegner („Sleepy Creepy“ Joe Biden). Beppe Grillo nennt den nicht wirklich dynamischen Ex-EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi „Valium“ und Silvio Berlusconi einen „Psychozwerg“. Johnson wiederum warb für seine Partei: „Wenn du für die Tories stimmst, bekommt deine Frau größere Brüste und du steigerst deine Chance, einmal einen BMW M3 zu besitzen.“

Die Reaktionen auf diese „Witze“ sind zugleich ein politisches Statement: Nur wer wirklich herzhaft darüber lacht, gehört dazu. Aber wer vielleicht die Augen verdreht oder missbilligend den Kopf schüttelt – der ist entlarvt: als Teil des verhassten, humorlosen, verklemmten, politisch korrekten Mainstreams. Komiker – oder der Komiker-Politiker – faszinieren auf ihrer Bühne aber auch aus einem anderen Grund: Sie kontrollieren ihr Publikum. Oder mit den Worten der ausgebildeten Clownin Jenny Lee: „Humor ist eine Art von Macht, der wir vertrauen – auch wenn sie mit Zynismus verbunden ist, sind wir ihr machtlos ausgeliefert.“


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