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Wurst am Popfest: „Die Conchi is' im Kast'n“

Piece of Cake Films/Patrick Wally
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Tom Neuwirth wollte beim Konzertdebüt seines neuen Alter Egos Wurst am Wiener Karlsplatz nicht ganz auf Glamour verzichten. Zuvor betörte seine Songwriterin Lylit.

Jetzt kommt die Conchita. Oder Wurst?“ – „Beides irgendwie, oder?“ Dialoge wie dieser, die am Donnerstag in der 25.000 Menschen fassenden Besuchermenge am Wiener Karlsplatz zu hören waren, deuten auf zweierlei hin. Erstens: Wie konsequent das findige österreichische Pop-Chamäleon Tom Neuwirth seine beiden Bühnenpersonae wirklich trennt, ist nicht einmal seinen Fans ganz klar. Zweitens: Es ist ihnen auch recht egal. Die stilistische und geschlechtliche Fluidität des Inszenierungskünstlers ist ja gerade, was seinen Reiz ausmacht – und seine relative Authentizität, die er bei aller Maskerade zu wahren weiß. „Bitte, wie sympathisch kann man sein?“, hörte man im Publikum ebenfalls mehrfach.

Unter wolkenlosem Abendhimmel gab Neuwirth also am Eröffnungstag des schon zehnten Popfests sein Konzertdebüt als Wurst. Maskuliner, cooler und unabhängiger soll seine aktuellste Inkarnation sein, auch näher am „echten“ Tom Neuwirth. „Trash all the glam“ heißt die blubbernde Elektropopballade, mit der Neuwirth seinen Auftritt begann: „In no way she can keep this fallen illusion now alive“, singt er in diesem Bekenntnis, das Divenhafte abzustreifen, auf jegliche Verstellung zu verzichten. In tiefstem Dialekt begrüßte Neuwirth sein Publikum und proklamierte: „Die Conchi is' im Kast'n.“

Weggesperrt? Ganz lassen kann Neuwirth den Glamour offenbar nicht. Im goldgerüschten schwarzen T-Shirt-Kleid, in hochhackigen Overknee-Stiefeln und mit Glitzeraugen zum Kürzesthaarschnitt setzte er bewegungstechnisch zwar auf lockeres Gelenkezucken statt auf ausladende dramatische Gesten. Doch wirkte er dabei auch irgendwie gebremst. Es gab zurückhaltende, wenn auch discotaugliche Popsongs wie „To the beat“ und „Forward“, Neuwirths verletzlicher Falsett-Gesang wurde von zwei Backgroundsängerinnen gestützt. Wirklich Fahrt nahm die Show aber erst auf, als Neuwirth (dessen neue Songs auch noch kein abendfüllendes Maß erreicht haben) doch noch die Hymnen auspackte, und dazu die theatralischen Posen: Zum Prince-Cover „Purple Rain“ wurde die Karlskirche – welch Postkarten-Bühnenhintergrund! – in sattem Lila illuminiert, zur Zugabe ließ man dann auch noch den Phönix aus dem Käfig. Beziehungsweise die Conchi aus dem Kasten.

Die Befreiung der Eva Klampfer

„Rise Like A Phoenix“ also, die dramatische, hier in einer gitarrenlastigen Version präsentierte Befreiungshymne, mit der Conchita Wurst 2014 den Song Contest gewonnen hatte. (Dass am Freitag mit Paenda gleich noch ein ESC-Act die Popfest-Bühne bespielte, ist übrigens Zufall, die Kuratorinnen Yasmo und Mira Lu Kovacs hatten sie schon gebucht, bevor der ORF sie zur Kandidatin kürte.) Einen Befreiungsschlag gab es auch vor dem Auftritt von Wurst zu feiern: Dessen neue Songs stammen aus der Feder der Soulsängerin Eva Klampfer alias Lylit – einer tollen Songwriterin, deren Potenzial lang gehemmt war. Die ehemalige Parov-Stelar-Sängerin mit dem absoluten Gehör wurde vom amerikanischen Plattenboss Kedar Massenburg, der schon Größen wie Erykah Badu zum Erfolg geführt hatte, unter Vertrag genommen. Was erst nach Durchbruch aussah, erwies sich als kreative Falle: Massenburg ging pleite, Klampfer war im Vertrag gefangen und durfte jahrelang nichts veröffentlichen, obwohl die Ideen nur sprudelten.

Piece of Cake Films/Patrick Wally

So ist es tatsächlich ihr allererstes Album, das diesen Sommer noch herauskommen soll und aus dem sie auf der Popfest-Bühne betörende Hörproben bot. Auf klingelnde Beats und wabernde Synthie-Sounds legte sie ihre kräftige helle Stimme und beschwor: „I'm not finished yet“ – im Song „Over“, den sie geschrieben hatte, nachdem die vertraglichen Fesseln endlich gelöst waren.

Feministische Punchlines

Davor warf die Rapperin und Teilzeit-Wahlwienerin Ebow mit feministischen Punchlines um sich: „Bin Frida Kahlo der Straßen, Blasphemie und Phrasen“ heißt es in „Punani Power“: „Ihr hasst mich so richtig, denn diese Kanakin hier macht sich zu wichtig, ist zu gebildet, sieht zu gut aus, zersprengt eure Kästen muslimischer Frauen – Autsch!“ Die oft wütenden Hip-Hoptracks, die sie über den Karlsplatz flirren ließ, erzählen vom Leben mit türkischen Wurzeln, aber auch vom Kampf, zu lieben, wen man lieben will. Energie und Mundwerk, auch das kann ziemlich sympathisch sein.

Piece of Cake Films/Patrick Wally

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2019)

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