„Vox Lux“: Im Teufelsbad der Popkultur

Der Popstar (Natalie Portman) mit seiner entfremdeten Tochter (Raffey Cassidy).
Der Popstar (Natalie Portman) mit seiner entfremdeten Tochter (Raffey Cassidy).(c) Atsushi Nishijima
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Im bissigen Kunstfilm „Vox Lux“ spielt Natalie Portman eine labile Popdiva. Der junge US-Regisseur Brady Corbet nimmt Anleihen bei Michael Haneke und Lars von Trier.

Abba und generell das schwedische Popwunder, so mutmaßt Brady Corbets neuer Film „Vox Lux“, verdanken wir eigentlich den Popverweigerern. Um 1940 riefen kulturkonservative Kräfte Stockholms aus Angst vor dem verderblichen Einfluss des Jazz eine Vielzahl an klassischen Musikschulen ins Leben, deren Ausbildung ein Gegengewicht zum Teufelswerk aus Übersee bilden sollte. Das Resultat? Mamma Mia!

Es ist nicht die einzige historische Ironie, die in Corbets Film zum Tragen kommt. Der 30-jährige Amerikaner, der nach zwei Venedig-Premieren als Hoffnungsträger des US-Kunstkinos gilt, ist fasziniert von jenen undurchsichtigen Kausalverkettungen, die Geschichte vorantreiben: von heimlichen Epizentren weltumkrempelnder Kräfte und symbolischen Zeitgeist-Schwerpunkten. In seinem ominös raunenden Regiedebüt „The Childhood of a Leader“ markierte er die Pariser Friedenskonferenz 1919 anhand des Psychogramms eines Diplomatensohns als Faschismus-Geburtsstunde. In „Vox Lux“ ist es ein an Columbine erinnerndes Schulmassaker, das den Samen für die Star-Werdung einer Überlebenden sät – worin sich aus Corbets Sicht bündelt, was die verrückte Gegenwart im Innersten zusammenhält.

Ist Pop nur Opium für das Volk?

Angeschossen und ans Krankenhausbett gefesselt schreibt Teenagerin Celeste (Raffey Cassidy) mit ihrer Schwester ein Lied. Bei einer Gedenkveranstaltung gibt sie es erstmals zum Besten: „Hey, turn the light on / 'Cause I've got no one to show me the way.“ In dunklen Zeiten findet dieser Messianismus dankbaren Anklang. Ein kleiner Silbenwechsel (aus „I“ wird „We“) macht den Song zum Sensationserfolg und Celeste zur Popdiva in spe.

Die Industrie, vertreten durch einen schmierig-sympathischen Manager (lustig: Jude Law), erkennt ihr Potenzial sofort. Ein paar Coachings, Aufnahmesessions und Nummer-eins-Hits später ist die Metamorphose vollendet – und der Film springt abrupt in die Jetztzeit. Nun sieht Celeste aus wie Natalie Portman, schwafelt mit starkem New Yorker Akzent, hat Trennungen, Skandale und Exzesse hinter sich – ein „Black Swan“ nach dem Zusammenbruch. Beim Treffen mit ihrer entfremdeten Tochter (gleichfalls Raffey Cassidy, denn Geschichte wiederholt sich) lässt sie sich Schnaps in den Softdrink sprenkeln. „Es ist egal, ob du Talent hast oder nicht“, spintisiert sie, „Hauptsache, du hast einen Aufhänger“.

Dieses Nervenbündel, eine Art Pars-pro-Toto-Popmonster, inszeniert Corbet als Galionsfigur einer verkorksten Ära voller Schall und Wahn. Terroristen tragen bei einem Anschlag Masken aus Celestes Musikvideos. Wollen sie nicht auch bloß Ruhm? Ist das schillernde Spektakel des Musikzirkus nur Opium fürs Volk, ein Deckmantel für Neurosen und Verwerfungen? Und Celeste selbst als labil-impulsives Medienwesen – ganz Image, null Kern – ein Prototyp der Gattung Trump?

Am sardonischen Kulturpessimismus lassen sich leicht die Vorbilder des Regisseurs ablesen: Es sind Eurokino-Schwarzmaler und -Sozialkritiker wie Michael Haneke, Ruben Östlund und Lars von Trier. Mit allen dreien hat Corbet, bevor er auf den Regiestuhl wechselte, als Schauspieler zusammengearbeitet, von Letzterem leiht er sich hier den Kniff eines allwissenden Off-Erzählers (Willem Dafoe). Anderes gemahnt an den britischen Polit-Filmer Peter Watkins (dessen „Privilege“ schon 1967 hart mit den ideologischen Schattenseiten des Pop ins Gericht ging).

Frisch wirkt „Vox Lux“ dennoch, weil es Arthaus-Ästhetiken der alten Welt auf US-Verhältnisse überträgt. Das hat auch etwas Prätentiöses. Etwa bei diversen ästhetischen Schnörkeln: Ein Abspann zu Beginn, ein Kamerablick aus der Perspektive einer Warnleuchte (gedreht wurde freilich auf Film). Selbst der Soundtrack trägt zuweilen zu dick auf. Die Songs stammen aus der Feder von Pop-Chanteuse Sia. Für gewichtigere Stimmung sorgen klamme Kompositionen des im März verstorbenen Ex-Liedermachers und Klangexzentrikers Scott Walker.

Corbets Ambitionen sind beträchtlich – und durchaus beachtlich. Aber noch reichen seine Mittel und Fähigkeiten nicht aus, um sie überzeugend umzusetzen. Die Sozialdiagnose von „Vox Lux“ wirkt schwerfällig und überfrachtet, seine Figuren bleiben letztlich Scherenschnitte, die düster satirischen Nachbildungen von Popvideos und -konzerten treffen nicht immer den richtigen Ton. Und aus der Perspektive von aufrichtigen Enthusiasten einer, sagen wir mal, Lady Gaga („Vox Lux“ hatte zufällig zur selben Zeit Premiere wie deren Kinovehikel „A Star Is Born“) muss Corbets mieselsüchtiger Gestus ohnehin lächerlich anmuten: Weiß er denn nicht, dass guter Pop Kraft spenden, in Einzelfällen sogar Leben retten kann? Klar. Aber in Zeiten bedingungsloser Affirmation nahezu jedes Massenphänomens dürfen Zweifler auch einmal über die Stränge schlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2019)

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