Afrikas freier Handel und seine Grenzen

(c) Peter Kufner
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Beinah unbemerkt ist eines der größten Freihandelsabkommen der Welt in Kraft getreten. Dabei ist ACFTA auch eine Chance für die EU.

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Während ganz Europa über ein Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, das Scheitern des Iran-Deals und den Brexit diskutiert, ist mit der African Continental Free Trade Area (ACFTA) beinahe unbemerkt eines der größten Freihandelsabkommen der Welt in Kraft getreten. Von den 55 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union haben 54 das Abkommen unterzeichnet – einzig das abgeschottete Eritrea hat auf eine Teilnahme verzichtet. Betroffen sind ca. 1,2 Milliarden Menschen, die gemeinsam eine Wirtschaftsleistung von über 2400 Milliarden US-Dollar erwirtschaften.

Es ist höchste Zeit, dass dieser Meilenstein des internationalen Freihandels und der innerafrikanischen Wirtschaftspolitik auch in der EU jene Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Immerhin betrifft er nicht nur einen Wachstumsmarkt – die meisten afrikanischen Staaten konnten in den letzten Jahren ein dynamisches Wirtschaftswachstum verzeichnen –, sondern auch eine Region, an der die EU politisches Interesse zeigt.

Das Abkommen schafft einen Binnenmarkt, der jenem der EU ähnlich ist. So soll es zu freiem Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Geschäftspersonen kommen. Auch Investitionen sollen keine Grenze kennen. Im Abkommen werden auf 90 % der Waren die Zölle abgeschafft, die verbleibenden 10 % sind Gegenstand künftiger Verhandlungen. Auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie die Zollabwicklung oder restriktive Produktstandards sollen abgebaut werden. Eine erste wichtige Aufgabe für die erfolgreiche Umsetzung des Handelsabkommens besteht in der Schaffung der hierzu notwendigen Institutionen.

Ein Freihandelsabkommen stellt eine Reihe an Anforderungen an die öffentliche Verwaltung: Das beginnt beim Monitoring der Zölle, geht über die Ortsfindung für eine Verwaltungszentrale und endet bei der Einrichtung von Schiedsgerichten.

Es gilt zudem, bestehende regionale Abkommen in das ACFTA zu integrieren, wie etwa die Zollunion des Südlichen Afrika (SACU) oder die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) mit Nigeria als größtem Mitgliedsland. Ein weiterer Knackpunkt in der Umsetzung dürfte der freie Personenverkehr werden. Es ist einerseits zu begrüßen, wenn qualifizierte Arbeitskräfte im afrikanischen Ausland arbeiten können. Beispielsweise arbeiten in Sansibars Tourismusbranche schon heute zahlreiche Beschäftigte vom Festland. Andererseits könnten auch Terroristen von Gruppierungen wie Boko-Haram oder den al-Shabaab-Milizen von der großzügigeren Reisefreiheit Gebrauch machen.

Der aktuelle Stand des Freihandelsabkommens lässt sich knapp zusammenfassen: Bislang wurden nur Unterschriften geleistet. Das zeigt zwar wichtige Willensbekundungen, die auf weitere Schritte hoffen lassen, aber wie die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedsstaaten erfolgt, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

Das Abkommen erleichtert den zwischenstaatlichen Handel. Die Konsumenten profitieren von einer größeren Produktvielfalt, die erhältlichen Produkte sind idealerweise von einer besseren Qualität und man ist möglichen Preissteigerungen von lokalen Anbietern in geringerem Ausmaß ausgesetzt. Zudem können erfolgreiche Betriebe Größenvorteile auf dem gesamtafrikanischen Markt erwirtschaften und somit kosteneffizienter produzieren. Davon könnten gerade kleinere Länder profitieren.

Profiteure und Verlierer

Aber es wird auch Verlierer geben. Durch ACFTA wird zwar die Bereitstellung von Gütern effizienter und insgesamt kommen bessere und günstigere Produkte auf den Markt, aber manche Firmen werden nicht mehr ertragreich wirtschaften können. Somit beschleunigt ACFTA den Strukturwandel, was zu Verteilungskonflikten führen kann. Unternehmensvertreter werden verständlicherweise Druck auf Regierungen ausüben, ihre Interessen zu wahren. Das erklärt auch, warum Länder wie etwa Nigeria, das heute bereits wirtschaftliche Größenvorteile hat, lange zögerten, dem Abkommen beizutreten. Letztlich wurden aber auch diese Regierungen von der politischen Dynamik eingeholt.

Gerade in Nigeria ist die Befürchtung groß, dass Freihandel die industrielle Entwicklung verlangsamen könnte. Wettbewerbliche Märkte können in frühen Entwicklungsphasen ein Hemmnis sein. Zu den günstigen Importen aus China dürften nun auch innerafrikanische Importe hinzukommen. Dazu kommt noch die Befürchtung, dass sich der Warenfluss von Importen aus der EU oder den USA schwerer kontrollieren ließe. In der Afrikanischen Union hofft man, dass ACFTA wegbereitend für eine afrikanische Zollunion wirkt, wodurch das Problem von unterschiedlichen Einfuhrzöllen gegenüber Produkten aus Drittstaaten beseitigt werden würde.

Schätzungen der ökonomischen Effekte von ACFTA sind zu diesem Zeitpunkt mit Vorsicht zu genießen, nicht nur, weil die Datenlage in Afrika besonders schwierig ist, sondern auch, weil zahlreiche Details noch nicht bekannt sind. Die UNO geht davon aus, dass der Handel unter den ACFTA-Staaten bis 2022 um etwa 50 % ansteigen könnte. Der innerafrikanische Handel macht derzeit 13 % vom Handelsvolumen Afrikas aus. Dieser Wert dürfte sich verdoppeln.

Es ist bemerkenswert, dass gerade die krisengebeutelten afrikanischen Länder ein sehr weitreichendes Freihandelsabkommen erfolgreich verhandeln konnten. Ein politisches Zusammenrücken, das noch dazu ohne Druck von außen zustande kam, zeigt ein neues afrikanisches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein. Der Kontinent wird durch das Freihandelsabkommen stärker verflochten und die Beziehung der Länder untereinander wird regelbasierter. Das kann bei der Bewältigung der zahlreichen Probleme helfen. Das Abkommen kann wirtschaftliche Wachstumsimpulse setzen, die jedoch maßgeblich von der konkreten Umsetzung abhängen werden. Jedenfalls wird es weitere Impulse benötigen, um die Armut in Afrika erfolgreich zu bekämpfen: Weitere Investitionen in Technologie und Bildung, eine Verbesserung der nach wie vor schlechten Infrastruktur und die Bekämpfung der Korruption gehören sicherlich dazu.

Investitionsrennen um Afrika

ACFTA ist eine Chance für die EU. Aktuell kann man ein Investitionsrennen zwischen China, den USA und den Briten auf dem afrikanischen Kontinent beobachten und die EU droht ins Hintertreffen zu geraten. Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den ACFTA-Mitgliedern könnte dies ändern. Eine bloße politische Interessensbekundung würde die noch zu entwickelnden und fragilen Institutionen des ACFTA-Abkommens stärken und zur Stabilität des Kontinents beitragen. Und, ein solches Abkommen könnte das Bild der Europäer in Afrika verändern, welches immer noch vom historischen Kolonialismus und von der Stützung korrupter Eliten geprägt ist.

Die Autoren

Klaus Friesenbichler (*1979) ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Wirtschaftsförderung (Wifo) mit den Forschungsschwerpunkten Industrieökonomie und Wettbewerbsfähigkeit. Zudem ist er Lektor für Entwicklungsökonomie an der WU Wien.

Harald Oberhofer (*1983) ist seit März 2015 Professor für Volkswirtschaftslehre an der WU Wien. Zudem forscht er am Wifo vorwiegend über Industrieökonomie, Innovation und internationalen Wettbewerb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2019)

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