Musik zwischen Fantasy und Science-Fiction

(c) SF/Marco Borrelli
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Das Klangforum Wien spielt Iannis Xenakis' „Kraanerg“: ein wildes Hörabenteuer für Unermüdliche.

Darf man sich dieser eruptiven Musik einfach so hingeben wie zum Beispiel der genüsslichen Betrachtung eines Fantasy-Monsters auf der Kinoleinwand? Oder muss man gleich mitbedenken, dass Iannis Xenakis beim pittoresk losknatternden Blech und hervorstechenden Holz nicht nur an den „Pariser Mai“ von 1968 mit seinen Demonstrationen, Streiks und Straßenschlachten gedacht hat, sondern auch an seine lebensgefährliche Jugend in Griechenland? Dort war er zunächst im Widerstand gegen die Nazis tätig, um schließlich im griechischen Bürgerkrieg gegen die britischen Truppen zu kämpfen. Das sollte ihn ein Auge kosten. Einem Todesurteil konnte er sich durch Flucht entziehen. Er kam 1947 nach Paris und wurde mit seinen speziellen Interessen für Architektur und Mathematik, deren Verfahren er auf die Musik angewendet hat, zu einem der originellsten Komponisten des 20. Jahrhunderts – abseits des damals dominierenden Serialismus.

Mathematik und Massenpanik

„Kraanerg“ nannte Xenakis seine 1969 als Ballettmusik uraufgeführte Komposition für Orchester und Tonband, die aber bald auf dem Konzertpodium reüssierte. Der Titel setzt sich aus den griechischen Wortstämmen für „vollenden“ und „Energie“ zusammen. Der Anfang klingt allerdings nach Maschinengewehrfeuer und Massenpanik. Vergnügen bereiten sie trotzdem, diese 75 prall gefüllten Minuten Musik, die durch 22 Generalpausen von zwei bis 28 Sekunden Dauer zerteilt werden. Alles folgt hier nämlich mathematisch ausgefuchsten, aber eben nicht auf Reihen basierenden Regeln des Kontrasts, auf graduell differenzierten Gegensätzen zwischen Klangfarben, Registern, Lautstärke und Bewegungsformen. Nichts ist thematisch, die Klänge selbst werden zum Abenteuer – und das Klangforum Wien stürzte sich unter Leitung von Sylvain Cambreling mit der größten Lust kopfüber hinein.

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