Heftiger Gegenwind für Johnson fernab von London

Boris Johnson besuchte auch eine Hühnerfarm in St. Brides Wentlooge.
Boris Johnson besuchte auch eine Hühnerfarm in St. Brides Wentlooge.REUTERS
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Auf den neuen britischen Premierminister prasselt nun auch aus Wales Kritik ein. Der stark landwirtschaftlich geprägte Landesteil sieht bei einem No Deal seine Lebensgrundlage in Gefahr.

Ärger mit Schottland, Wales und dann auch noch Irland: Bei der Werbetour für seinen Brexit-Kurs bekommt der neue britische Premierminister Boris Johnson kräftig Gegenwind. Er versprach am Dienstag, die britischen Landwirte nach dem EU-Austritt besserzustellen. Doch die Äußerungen des Regierungschefs, der Brüssel immer wieder mit einem ungeregelten Brexit droht, stießen in Wales auf scharfe Kritik.

Auch das erste Telefongespräch Johnsons mit Irlands Premier Leo Varadkar brachte keine Annäherung. So ist weiter völlig unklar, wie die durch die Brexit-Pläne aufgeworfene Grenzfrage zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland gelöst werden könnte.

Es geht ums Geld

In Wales ging es hingegen am Dienstag vor allem ums Geld. Der südwestliche Teil Großbritanniens ist sehr stark von EU-Fördermitteln abhängig. Nach Angaben von Experten kamen zuletzt rund 80 Prozent der Einkünfte der Bauern dort aus Töpfen der Europäischen Union. Mehr als 50.000 Menschen sind in der Landwirtschaft in Wales beschäftigt.

"Wenn wir die EU am 31. Oktober verlassen, werden wir die historische Chance haben, neue Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirtschaft einzuführen - und wir werden sicherstellen, dass die Bauern einen besseren Deal bekommen", versicherte Johnson am Dienstag anlässlich eines Treffens mit Bauern.

Der Regierungschef von Wales, Mark Drakeford (Labour-Partei), kritisierte den Premierminister hingegen scharf. "Keine Anerkennung, dass Lebensgrundlagen in Gefahr sind. Keine ernsthaften Antworten. Kein Plan für die Bauern von Wales", schrieb er auf Twitter. Der Nationale Agrarverband warnte sogar vor einer Katastrophe im Falle eines No Deals.

Wales profitiert besonders von EU-Geldern

Nach Angaben des Finanzausschusses der Walisischen Nationalversammlung erhielt der Landesteil zuletzt rund 680 Millionen Pfund (etwa 743 Millionen Euro) pro Jahr aus dem EU-Haushalt. 274 Millionen Pfund davon fließen als Direktzahlungen an Landwirte. Daneben gibt es pro Jahr unter anderem 80 Millionen Pfund für Projekte aus Entwicklungsprogrammen für den ländlichen Raum und 295 Millionen Pfund Strukturhilfen. Zu letzteren zählen etwa Gelder für Projekte zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen.

Wales bekomme pro Einwohner wesentlich mehr EU-Mittel pro Jahr als andere entwickelte Nationen und englische Regionen, schreiben die Finanzexperten zu den Zahlen.

Bereits am Tag zuvor war Johnson bei seinem ersten Besuch als Premier in Schottland ein scharfer Wind entgegengeweht: Regierungschefin Nicola Sturgeon sagte, dass er das Land mit seinem Brexit-Kurs in eine "Katastrophe" treibe.

Bedingungen für Gespräche mit Merkel und Macron

Nach einem Bericht der Zeitung "Guardian" will Johnson vorerst keine Gespräche mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron führen. Er soll angeblich nur dazu bereit sein, wenn die EU den Brexit-Deal nachverhandelt. Eine Regierungssprecherin wollte den Bericht in London auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht kommentieren. Brüssel lehnt ein Aufschnüren des von Johnsons Vorgängerin Theresa May und der EU vereinbarten Abkommens strikt ab.

Der Premierminister will Großbritannien am 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft führen - notfalls ohne Abkommen. Ein No Deal würde aber vor allem der Wirtschaft stark schaden.

Es hakt immer noch am „Backstop"

Johnson und viele andere Befürworter eines EU-Austritts pochen darauf, den sogenannten Backstop in dem Abkommen zu streichen. Das machte er am Dienstag nochmals in einem Telefonat mit Irlands Premier Varadkar deutlich. Der wies die Forderung aber erneut zurück und verwies auf die Geschlossenheit der verbleibenden EU-Länder.

Die "Backstop" genannte Garantieklausel soll eine harte Grenze mit Kontrollen zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland verhindern. Denn das könnte in Nordirland den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung mit Irland und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Johnson sieht in der Klausel hingegen ein "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in die Zollunion mit der EU und den Binnenmarkt.

Angesichts des drohenden No Deals setzte das britische Pfund die Talfahrt der vergangenen Handelstage fort. Seit Beginn der Woche verlor die Währung bereits etwa zwei Prozent an Wert.

(APA/dpa)

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