Die Angst, die uns noch gefehlt hat

Heute läuft jener Vertrag aus, der seit dem Ende des Kalten Kriegs dafür gesorgt hat, dass keine Mittelstreckenraketen in Europa stationiert waren. Das nukleare Wettrüsten zwischen dem paranoiden Russland und den irrlichtenden USA kann wieder losgehen.

Das frühe 21. Jahrhundert ist eine angsterfüllte Zeit. Wir haben Angst davor, den Arbeitsplatz an Konkurrenz aus dem Ausland oder - noch schlimmer - an einen Algorithmus zu verlieren. Wir sorgen uns um den Zustand der Demokratie, um den sozialen Zusammenhang, um das tägliche Miteinander. Wir werden gewarnt vor der Rückkehr längst überwunden geglaubter Krankheiten, vor der Zersetzung der Gesprächskultur im Säurebad sozialer Medien, vor wachsendem Analphabetismus und verkürzten Aufmerksamkeitsspannen, vor Antibiotika im Fleisch und Pestiziden im Brot, vor Arbeitsmigranten und Klimaflüchtlingen. Wir nehmen besorgt zur Kenntnis, dass die Lebenserwartung im Westen stagniert oder gar zu fallen beginnt, dass Vermögen ungleich verteilt und die Sparzinsen im Keller sind, dass Wirtschaftsmotoren stottern und Politiker mit sich selbst beschäftigt sind. Und wir fürchten uns vor dem Tag, an dem die Hitze des Klimawandels so brütend sein wird, dass uns nichts anderes als die Flucht aus der glühenden Stadt übrig bleibt.

Die Furcht vor dem großen Knall

So ziemlich die einzige Angst, vor der wir in den vergangenen Jahren verschont geblieben sind, ist jene vor einem Atomkrieg. Doch dank Donald Trump und Wladimir Putin können wir uns ab heute wieder vor dem großen Knall fürchten. Mit dem Auslaufen des INF-Vertrags, der seit dem Ende des Kalten Kriegs dafür gesorgt hat, dass keine Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden dürfen, kann das nukleare Wettrüsten zwischen dem paranoiden, nach Anerkennung dürstenden Russland und den zunehmend unberechenbaren USA wieder losgehen. Vor der neuen Generation der Marschflugkörper, an denen bereits fleißig geforscht wird, hilft kein Bunker, keine Raketenabwehr und kein Frühwarnsystem - sie können ihr Ziel in wenigen Minuten erreichen.

Zu Tod, Hunger und Pestilenz gesellt sich nun der Krieg hinzu. Die apokalyptischen Reiter galoppieren wieder zu viert durch unsere Imagination.

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