Hohe Steuern sind kein Garant für einen funktionierenden Sozialstaat

Beim armen Taxifahrer scheint das Geld nicht anzukommen.
Beim armen Taxifahrer scheint das Geld nicht anzukommen.(c) Bilderbox
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Am Montag ist „Tax Freedom Day“, jener Tag, ab dem wir nicht mehr für den Staat, sondern endlich in die eigene Tasche arbeiten. Wir sollten ihn früher feiern.

Die Arbeiterkammer Oberösterreich war ihrer Zeit wieder einmal voraus. Bereits am Freitag warnte deren Präsident, Johann Kalliauer, in einer ellenlangen Aussendung vor einem „Anschlag auf den Sozialstaat“. Neoliberale Lobbyorganisationen würden nämlich wieder den „Tax Freedom Day“, der heuer auf den 5. August fällt, dafür verwenden, den Staat schlechtzureden und massive Steuersenkungen zu fordern. „Die in Österreich bezahlten Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sind der Garant für eine funktionierende Gesellschaft“, sagte Kalliauer.

Wer dieser Tage aus dem Urlaub zurückkommt, wird ihm in vielen Dingen beipflichten. Ja, wir leben in einem tollen Land, in dem vieles richtig gut funktioniert. Es geht uns besser als den Menschen in den meisten Ländern, in denen wir gern unseren Sommerurlaub verbringen. Aber teuer allein ist eben kein Qualitätskriterium. Auch diese Erkenntnis sticht einem ins Auge, wenn man nach zwei Wochen wieder heimkommt – und auf dem Wiener Flughafen in ein Taxi steigen musste, weil Uber für ein paar Tage den Dienst eingestellt hatte. Die Fahrt kostete 48 statt 28 Euro, aber beim armen Taxifahrer scheint das Geld nicht anzukommen – zumindest seinem Erscheinungsbild samt Wagen nach zu urteilen.

Gut ist nicht gleich teuer. Das sollte gerade einem Gewerkschaftler einleuchten. Und von einem Anschlag auf den Sozialstaat sind wir weit entfernt. Was wir in Österreich praktizieren, ist in sehr vielen Bereichen ein Anschlag auf künftige Generationen.

Wir leisten uns eines der teuersten Pensionssysteme und müssen dennoch fürchten, dass unsere Kinder durch die Finger schauen. Wir stecken mehr Geld ins Bildungssystem als vergleichbare Länder, zählen aber bei den diversen Pisa-Studien zu den Hinterbänklern. Estland hat laut Pisa eines der besten Schulsysteme Europas, obwohl dort der Staat pro Kind nur halb so viel Geld in die Hand nehmen muss wie bei uns.

Ähnliches gilt für unser oft – und in vielen Dingen zu Recht gelobtes – Gesundheitssystem. Tatsächlich haben wir ein teures und gut funktionierendes Krankensystem. Denn gesund sind wir Österreicher im europäischen Vergleich nicht. Wir haben laut Statistik 57 „gesunde“ Jahre, das ist der viertletzte Platz in der EU, der Durchschnitt liegt bei 63,5 gesunden Jahren. In Schweden verbringen die Menschen im Schnitt 73 Jahre ohne nennenswerte Erkrankungen. Die Schweden haben den „Tax Freedom Day“ heuer übrigens am 18. Juli gefeiert.

Und natürlich geht es nicht ausschließlich um weniger Staat und mehr privat. Es geht um mehr Qualität, um ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis. Und dieses staatliche Preis-Leistungs-Verhältnis ist in sehr vielen Bereichen – gelinde gesagt – bescheiden bis lausig.


Mittlerweile kommt der Staat wenigstens mit dem vielen Geld aus, das er einnimmt. Noch vor zwei Jahren feierten wir in Österreich den „Tax Freedom Day“ am 15. August und fabrizierten wie in allen Jahren seit 1954 ein Budgetdefizit. Damit könnte wenigstens Schluss sein, Grund zum Jubeln gibt es aber keinen.

Der Staat ist nämlich nicht genügsamer oder effizienter geworden. Das ausgeglichene Budget verdanken wir ausschließlich dem Fleiß unserer Unternehmer und deren Mitarbeiter. Ihnen hat der Bund im ersten Halbjahr dieses Jahres um fünf Prozent mehr Lohnsteuer und um 14 Prozent mehr Einkommenssteuer abverlangt.

Wenn ein österreichisches Unternehmen für einen Mitarbeiter doppelt so viel bezahlt, als dieser am Ende netto auf das Konto überwiesen bekommt, dann ist eine Schmerzgrenze erreicht. Die größte Gefahr für den Sozialstaat ist nicht das viel zitierte Kaputtsparen, sondern das praktizierte Kaputtbesteuern.

Österreich ist ein großartiges Land. Wir verdanken unseren Wohlstand dem Fleiß vieler Generationen. Wir sollten diesen Wohlstand nicht aufs Spiel setzen, indem wir den Menschen das Gefühl geben, dass sich Fleiß nicht mehr auszahlt. Wer erst ab dem 5. August in die eigene Tasche arbeitet, der wird dieses Gefühl leider nicht los.

E-Mails an:gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2019)

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