Schostakowitschs Notturno der Einsamkeit

Jubel für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter dem Kanadier Yannick Nézet-Séguin.
Jubel für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter dem Kanadier Yannick Nézet-Séguin.(c) SF/Marco Borrelli
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Jubel für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter dem Kanadier Yannick Nézet-Séguin: Der Einspringer für Mariss Jansons wandelte in Salzburg Genauigkeit in Ausdruck um.

Beethovens zweite Symphonie ist kein einfaches Stück: Haydn auf Speed, könnte man sagen – und damit ist nicht bloß die Geschwindigkeit gemeint. Denn Beethoven will darin immer noch den einstigen Lehrer übertrumpfen, wo er nur kann: in den Dimensionen, den Steigerungen, in der Drastik des Humors. Im Stirnsatz gibt es in dessen groß angelegter Coda eine besonders merkwürdige Stelle: Nach einem hochdramatisch inszenierten, strahlenden Fortissimo-Höhepunkt in D-Dur, auf den ein chromatisch ansteigender Bass zusteuert, kehrt das Hauptthema wieder, verwandelt in eine Unisono-Dreiklangsfanfare. Doch nimmt Beethoven bei dieser die Dynamik plötzlich ins einfache Forte zurück, um dann erst für die Schlussakkorde wieder Fortissimo zu verlangen. Was bedeutet das? Nicht wenige Dirigenten übergehen dieses merkwürdige Herunterdimmen einfach – oder begegnen ihm hörbar unentschlossen. Nicht so Yannick Nézet-Séguin: Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gelingt es ihm, die Stelle inmitten von so viel Zuspitzungen der Symphonie wie einen beiläufigen Witz zu präsentieren, als einen kleinen Sieg des Understatements – mit dem finalen Fortissimo als Pointe. In Ausdruck umgewandelte Genauigkeit war überhaupt ein Vorzug dieser kontrastreichen Deutung.

Der Trost gilt nur für eine Nacht

Auch der Tonfall von Dmitri Schostakowitschs Fünfter ist nicht ohne Weiteres zu treffen. 1937 in Leningrad uraufgeführt und vom Komponisten als demütige „Antwort auf gerechte Kritik“ der Partei an ihm ausgegeben, enthält die Symphonie verschlüsselte Botschaften aus dem Stalinismus. Der beklemmende langsame Satz ist ein Notturno der Einsamkeit: Wer wie Schostakowitsch jemals schlaflos auf ein Verhaftungskommando gewartet hat, dem prägt sich die Angst unauslöschlich ein, und das tröstlich schimmernde Fis-Dur der Morgendämmerung, man spürte es diesmal im großen Festspielhaus, gilt immer nur für diese eine Nacht. Und dass der irrwitzige Jubel des Finales (den die Bayern vielleicht um Nuancen zu klangschön und edel spielten) mit Gewalt erzwungen ist, daran ließ der Gruseleffekt der gedroschenen Töne der großen Trommel in den Schlusstakten keinen Zweifel. Das bedeutete zumindest ein paar Schrecksekunden vor der obligatorisch aufbrandenden Begeisterung des Publikums. Diese kann nur der Oberfläche gelten, nicht den Abgründen dieser extremen Musik, die Nézet-Séguin stellenweise etwas aufgebauscht haben mag – aber stets im Interesse der Deutlichkeit.

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