Indien nimmt den Kaschmir an die kurze Leine

Die Anhänger der Regierung feiern die Entscheidung auf den Straßen - etwa hier in Ahmedabad.
Die Anhänger der Regierung feiern die Entscheidung auf den Straßen - etwa hier in Ahmedabad.REUTERS
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Die im Artikel 370 verankerten Autonomierechte für Kaschmir und Jammu wurden aufgehoben. Es herrscht eine Ausgangssperre. Für die Anhänger eines unabhängigen, muslimischen Kaschmirs eine Provokation.

Es ist eine Entscheidung historischen Ausmaßes, die das Verhältnis der Bewohner der indischen Region des Kaschmirs zum Staat Indien nachhaltig beschädigen kann. Inmitten neuer Spannungen hat Indien den Sonderstatus für die Unruheregion in der Verfassung aufgehoben. Innenminister Amit Shah erklärte am Montag im Parlament, mit einem Eildekret des Präsidenten werde Artikel 370 der indischen Verfassung, der dem Unionsstaat Jammu und Kaschmir Autonomierechte garantiert hatte, mit sofortiger Wirkung gestrichen.

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Artikel 370 der Verfassung hat dem indischen Teil Kaschmirs unter anderem eine eigene Verfassung ermöglicht, eine eigene Flagge und weitgehende Kompetenzen mit Ausnahme namentlich der Außen- und Verteidigungspolitik. Der Staat Jammu und Kaschmir werde umorganisiert, so Shah. Indische Medien berichteten der Teilstaat solle in zwei Teile aufgespalten werden. Politiker der Region werten die Entscheidung der Regierung auch als Teil eines Versuchs, Kaschmir zu hinduisieren. Die frühere Regierungschefin von Jammu und Kashmir Mehbooba Mufti schrieb auf Twitter: "Heute ist der dunkelste Tag der indischen Demokratie.“ Sie steht unter Hausarrest.

Der Kaschmir-Konflikt ist nicht in wenigen Worten zu erklären. Es ist im Grunde genommen ein Konstruktionsfehler in der Trennung von Pakistan und Indien im Jahr 1947, der aber schon bis ins 19. Jahrhundert hineinreicht. Es geht um geopolitische Interessen zweier Länder (eigentlich dreier Länder, wenn man China mitrechnet), es geht um ethnisch/religiöse Zugehörigkeiten. Und neben dem Tauziehen zwischen Pakistan und Indien gibt es noch Unabhängigkeitsbestrebungen Kaschmirs. Eines dieser Pulverfässer.

Nach ruhigeren Phasen in den Nullerjahren dieses Jahrtausends, standen die Zeichen jüngst wieder auf Verschärfung. Zuletzt kam es in der Region immer wieder zu Spannungen und Gewalt zwischen Sicherheitskräften und Separatisten, die eine Abspaltung des überwiegend muslimischen Kaschmirs vom mehrheitlich hinduistischen Indien wollen. Indien wirft Pakistan vor, islamistische Kämpfer im indischen Teil zu unterstützen. Islamabad bestreitet dies.

Die jetzige Entscheidung Indiens könnte in der mehrheitlich muslimischen Region im Himalaya, die auch von Pakistan beansprucht wird, für eine Eskalation sorgen. Die hindu-nationalistische Partei BJP von Premierminister Narendra Modi ist schon seit Jahrzehnten gegen den Sonderstatus von Kaschmir. Die Partei argumentiert, die Reform werde die mehrheitlich von Muslimen bewohnte Region stärker in Indien integrieren. Modi hatte am Montag eine Sitzung seines Sicherheitskabinetts einberufen. Wenige Stunden zuvor hatten die indischen Behörden Ausgangssperren in Kaschmirs Hauptstadt Srinagar und in umliegenden Gebieten verhängt. Internetdienste wurden blockiert, das Handynetz und das Festnetz abgeschaltet. Zudem wurden mehrere Regionalpolitiker unter Hausarrest gestellt. Zehntausende Soldaten wurden in die Region geschickt.

Touristen sollen Region verlassen

Die Regierung in Neu Delhi erklärte die weitreichenden Ausgangssperren mit der "aktuellen Sicherheitslage". Am Samstag hatte Indien Touristen in Kaschmir aufgefordert, die Region angesichts von "Terrorgefahren" durch von Pakistan unterstützte Gruppen "umgehend" zu verlassen. Dies hatte zu fluchtartigen Szenen an Flughäfen und Bahnhöfen geführt. Auch das österreichische Außenministerium warnt vor Reisen nach Jammu und Kaschmir.

Artikel 370

Die Region Kaschmir ist seit einem Krieg 1947 zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan geteilt, wird aber bis heute von beiden Staaten zur Gänze beansprucht. Ein weiterer Teil des Himalaya-Gebiets gehört zu China, das in dem Konflikt eher als Verbündeter Pakistans gilt.

Kaschmir ist seit dem Krieg 1947 zwischen Pakistan und Indien aufgeteilt. Durch Vermittlung der Vereinten Nationen kam es 1949 zu einem Waffenstillstandsabkommen. Dabei wurde Kaschmir zu einem Drittel Pakistan und zu zwei Dritteln Indien zugesprochen. Man erreichte jedoch keine Einigung für eine Volksabstimmung. Deswegen wurde Kaschmir 1949 ein Sonderstatus zugesprochen. Mehr als 70 Jahre genoss es als Staat der Indischen Union Autonomierechte.

Pakistan bittet Trump um Vermittlung

Nach der Aufhebung des Sonderstatus für den indischen Teil des Kaschmirs hat Pakistan Indien vor "einseitigen Schritten" gewarnt. "Als Partei in diesem internationalen Konflikt wird Pakistan sämtliche möglichen Optionen anwenden, um diesen illegalen Schritten entgegenzutreten", teilte das Außenministerium in Islamabad am Montagmit.

Pakistan hatte US-Präsident Donald Trump am Wochenende um Vermittlung gebeten. "Präsident Trump bot an, in Kaschmir zu vermitteln. Dies ist der Zeitpunkt, dies zu tun", twitterte Ministerpräsident Imran Khan, der im Juli zu Gast im Weißen Haus war, am Sonntag.

Die Situation habe sich verschlechtert, was auf "neue aggressive Aktionen der indischen Besatzungstruppen" zurückzuführen sei. "Das hat das Potenzial, sich zu einer regionale Krise hochzuschaukeln." Seine Regierung warf dem verfeindeten Nachbarn vor, am Samstag an der Waffenstillstandsgrenze in Kaschmir international geächtete Streu-Munition eingesetzt zu haben. Dabei sollen zwei Zivilisten getötet und elf weitere Menschen verletzt worden sein. Indien wies die Vorwürfe zurück.

Am Samstag wurden indischen Angaben zufolge mindestens fünf in Pakistan ansässige Militante getötet, die einen Angriff vorbereitet hätten. Pakistan bestreit die Vorwürfe.

Indien hatte vor einigen Monaten erstmals seit dem Krieg 1971 Angriffe auf pakistanisches Gebiet geflogen. Die Attacke der Luftwaffe hatte nach Darstellung der Regierung in Neu-Delhi einem Ausbildungslager einer Islamisten-Gruppe namens Jaish-e Mohammad gegolten, die einen Anschlag mit 40 Toten von Mitte Februar im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs für sich reklamiert hatte. Nach Darstellung Pakistans gibt es solche Islamisten-Lager in dem Gebiet nicht.

(APA/dpa/Reuters/klepa)

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