Kolumne

Touristenhass

Touristen in Barcelona
Touristen in Barcelona Unsplash (Ferran Feixas)
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Was nervt am Tourismus am meisten? Natürlich die anderen Touristen. Und die Tourismus- und Fremdenhasser in den Foren.

Am Tourismus nerven die Touristen am meisten, besonders, weil die Touristen ja immer die anderen sind. Selbst gehört man zu den einen. Man ist das unverwechselbare, plötzlich von allerlei seltsam kostümierten Fremdlingen mit Cityrucksäcken und beschrifteten T-Shirts umzingelte Individuum. Man fühlt sich automatisch so, sogar in der Barcelonaer Schlange, die sich zweimal um die Gaudí-Kirche windet. Ein ähnlicher Effekt tritt ein, wie dann, wenn man sagt, „ich stehe im Stau“ und dabei die Wahrheit unterschlägt, dass die eigene Person und das eigene Fahrzeug konstituierende Elemente des selbigen Staus sind.

Als ich in den Neunzigerjahren nach Cabo Verde reiste, verspürte ich zum ersten Mal, was es bedeutete, auf Inseln zu reisen, die fast ohne Tourismus auskamen. In vielen Dörfern gab es nicht nur keine Unterkunft und kein Restaurant, sondern auch – zumindest nachts – keinen Strom. Es war auch anders als auf Interrailreisen, wo ich manchmal flache Dächer und Parks als Schlafplätze auswählte. Die Natur bringt einen zum Grübeln. Welche Tiere könnten nachts vorbeischauen. Und was, wenn plötzlich ein Verrückter vor mir stehen würde, womöglich einer, der die Kolonisation in die falsche Kehle bekommen hatte? Ich entwickelte daher in Cabo Verde wohlwollende Gefühle gegenüber touristischen Angeboten.

Ich meide Internetforen. Sogar die Website der Zeitung, für die ich schreibe, klicke ich – obwohl sie ja schmerzhaft schön gelayoutet ist und dieser Text ausschließlich online erscheint – nur gelegentlich an. Paradox: Ich fürchte zutiefst die Postingkultur, kann jedoch oft nicht widerstehen, nach unten zu scrollen. Als Posting-Vermeider bleiben mir nur Seiten wie jene des ORF, auf der Kommentare unmöglich sind. Leider lässt der ORF gelegentlich „Debatten“ zu. Einmal sah ich eine zum Thema „Touristen: Was nervt am meisten?“ Der dümmliche Nickname „undichsagedir“ schrieb da: „ich wäre allen dankbar, wenn ich endlich mein Österreich wieder für mich allein haben könnte“, einige Smileys folgten, „also (…) raus mit euch allen!“ Vielleicht handelte, dachte ich, es sich um einen Satiriker, der Touristen- und Fremdenfeindlichkeit seiner Mitbürger anprangern wollte. Hm ... wahrscheinlich doch nicht. Österreich für sich allein haben! … Ich dachte an Cabo Verde, wie froh ich war, wenn mir jemand freundlich entgegentrat, und ich verspürte die Lust, mir mit den Fäusten an die Schläfen zu dreschen.

NEU: Martin Amanshauser, „Es ist unangenehm im Sonnensystem", Kremayr & Scheriau 2019. www.amanshauser.at

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