Anhänger töten keine Kinder, Autos, Handys und Fehlplanung sehr wohl

In Niederösterreich sterben zwei Mädchen, nachdem der Fahrradanhänger, den ihre Mutter per Elektrofahrrad zog, am Sonntagabend auf einer Bundesstraße von einem Auto erfasst wird.
In Niederösterreich sterben zwei Mädchen, nachdem der Fahrradanhänger, den ihre Mutter per Elektrofahrrad zog, am Sonntagabend auf einer Bundesstraße von einem Auto erfasst wird. (c) APA/HERBERT-PFARRHOFER (HERBERT-PFARRHOFER)
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Warum Verbote und Victim blaming nach Unfällen die falschen Debatten sind. Und wie man Kinder angesichts eklatant steigender Unfallzahlen schützt.

Drei tote Kinder in nicht einmal 24 Stunden. In Niederösterreich sterben zwei Mädchen, nachdem der Fahrradanhänger, den ihre Mutter per Elektrofahrrad zog, am Sonntagabend auf einer Bundesstraße von einem Auto erfasst wird. Am Montagnachmittag stirbt in Kärnten eine Neunjährige bei einem Frontalunfall auf der Friesacher Bundesstraße, auch ihr Vater, dessen Lebensgefährtin und der Lenker des entgegenkommenden Fahrzeugs werden getötet. Der 13-jährige Bruder des Mädchens wird schwer verletzt.

Es sind Unfälle wie diese, die für Betroffenheit sorgen. Kurz zumindest, denn immer wieder, statistisch heuer rund alle zweieinhalb Wochen, sorgt neuerlich der Verkehrstod eines Kindes für Schlagzeilen. Zwölf Kinder (bis 14 Jahre) wurden heuer bei Verkehrsunfällen getötet, vier Mal mehr als 2018 und klar mehr als in den vergangenen Jahren. Da waren es statistisch 7,4 getötete Kinder pro Jahr, so das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV).

Woran liegt dieser Anstieg? Sind Unfallzahlen zuvor, bis etwa 2014, doch lang gesunken. Zum Vergleich: Anfang der 1990er-Jahre gab es 50 bis 60 im Verkehr getötete Kinder pro Jahr. Zuletzt stiegt auch die Zahl verletzter Kinder: 2018 wurden 2887 Kinder bei Verkehrsunfällen verletzt, rund 300 Kinder mehr als vor zwei, drei Jahren. Die Analyse der Ursache ist laut KFV klar: Kinder werden öfter übersehen, vor allem an Kreuzungen. Und Autofahrer sind öfter abgelenkt, besonders wegen des Handys. In 77 Prozent der Fälle sind Erwachsene die Verursacher der Unfälle, bei denen Kinder getötet werden.

Angesichts dieser Tatsachen gehen die Debatten in eine falsche Richtung: Nicht Anhänger, nicht Scooter verursachen Unfälle. Kinder sterben fast immer nach einer Verkettung fataler Umstände – aber auch, weil Straßen für Kinder nicht sicher sind. Auch wenn Fragen nach der Sicherheit und Nachbesserungen im Kleinen, bei Anhängern, bei konkreten Straßenabschnitten, nötig sind, im Großen werden Einzelmaßnahmen oder gar Verbote nicht reichen. Im Gegenteil, „wir brauchen kindgerechten Verkehr, nicht verkehrsgerechte Kinder“, so eine Forderung des KFV.

Die Liste konkreter Ansatzpunkte ist lang: Effiziente Strafen für Handynutzung am Steuer (wie wenig das Verbot allein bringt, lässt sich im Stadtverkehr wie auf Autobahnen bei jeder Fahrt beobachten). Auch muss die Infrastruktur den Gegebenheiten angepasst werden.

Angesichts größerer Fahrzeuge und immer mehr Lieferverkehrs, besonders in der Stadt, müssen Sichtachsen geschaffen werden, die Kinder schützen. Etwa, indem man Haltelinien versetzt, Radwege vorzieht, tote Winkel entschärft. Sinnvoll wäre auch flächendeckend Tempo 30 in von Kindern hoch frequentierten Zonen. Will man, wie sich das die vorige Regierung auf die Fahnen schrieb, den Anteil des Radverkehrs steigern, müssen sichere Wege geschaffen werden: Auf Überlandstraßen, ab Geschwindigkeiten über 50 km/h, sind nur baulich getrennte Radwege sicher. Sicher heißt, in Anbetracht des Tempos, das E-Bikes heute erreichen, und der Zahl zweispuriger Fahrzeuge auf Radwegen, keine schmalen 1,25-Meter-Streifen zu bauen bzw. auszubauen. Auch ein gesetzlicher Mindestabstand beim Überholen von 1,5 Metern ist eine alte Forderung für mehr Sicherheit, und die Liste solcher ist noch lang.

Anhänger zu verteufeln oder Verbote zu fordern bringt niemanden weiter. Auch wenn im jüngsten Fall Fragen offen sind, das KFV kennt seit Jahren keinen Fall eines in einem Anhänger getöteten oder verletzten Kindes. Auch ideologisch verbrämtes Ausspielen der Verkehrsteilnehmer ist kontraproduktiv, sichere Wege nutzen jedem, der nicht fürchten muss, ein Kind zu überfahren.

Die Schuld bei Betroffenen, bei Opfern, bei Eltern zu suchen hilft ebenso niemandem. Es mag komfortabel sein, diese Schicksale von sich zu schieben, indem man online oder im täglichen Tratsch kommentiert, für wie fahrlässig man dies und jenes, Umstände, die man nie in allen Details kennt, halte. Das schafft falsche Sicherheit, nur konsequentes Handeln schafft sichere Straßen. Am besten, bevor das nächste Kind zu betrauern ist.

E-Mails an: christine.imlinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2019)

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