Versungen und vertan? Die verpasste Chance der FPÖ

(c) Peter Kufner
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Kritische Anmerkungen zum Historikerbericht der FPÖ von einem, der gefragt wurde, dazu etwas beizusteuern.

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Einer der interessantesten Züge in R.L. Stevensons Roman „Dr.Jekyll und Mr. Hyde“ ist die bipolare Anlage des Haupthelden. Gefangen in ein und demselben Körper versucht der renommierte Arzt Jekyll, tagsüber das wiedergutzumachen, was Mr. Hyde – also er selbst – an nächtlichen Untaten begangen hat.

Jekyll erscheint als seriöse Persönlichkeit, Hyde wird als klein, schlau und durchtrieben geschildert. Die verzweifelten Versuche von Jekyll, seinen Schatten Hyde loszuwerden, sind erfolglos. Sie enden in einer Tragödie. Stevensons Roman wurde unzählige Male verfilmt und diente Tiefenpsychologen als Lehrstück. Für C. G. Jung waren Mr. Hyde und der Schatten die Archetypen des Bösen.

Wahrscheinlich lesen wir den Roman noch heute, weil wir darin uns selbst finden: Nicht in der Extremform von Gelüsten nach Mord und Totschlag, aber im ewigen Konflikt zwischen Altruismus und Destruktion. Der Mensch verfügt über beides.

Organisationen bestehen aus Menschen, und so überrascht es nicht, dass sie abstoßende, aber auch verdienstvolle Eigenschaften haben. Klar auch, dass sie in ihrer Selbstdarstellung die guten betonen, die weniger guten verdrängen. Ein belastbarer Charakter wird allerdings nur möglich, wenn Gut und Böse besprochen und in vertrauensvoller Weise behandelt werden. Parteien und Individuen ähneln einander dabei durchaus.

SPÖ und ÖVP machten es vor

Der Versuch, die Geschichte einer Partei ungeschminkt darzustellen, ist unterstützenswert. Für die Sozialdemokratie haben es Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz („Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten“) schon vor 15 Jahren unternommen. Die schonungslose Darstellung der beiden Historiker ist, merk's FPÖ, jederzeit online zu lesen. Die SP-interne Begeisterung über die Publikation war enden wollend, die Häme der politischen Konkurrenz garantiert. Besonders ausgeprägt war sie bei jenen, die selbst nicht an eine Gewissenserforschung dachten: Man konnte endlich auf Renner und Julius Tandler einprügeln und so den Balken im eigenen Auge übersehen.

Die ÖVP wiederum legte im Vorjahr eine Studie vor. Sie war ähnlich ungeschminkt wie jene der SPÖ, erregte aber weniger Aufsehen. Innerhalb der Sozialdemokratie dauerten die Diskussionen mehrere Jahre, bei der ÖVP verlief der Prozess geräuschloser.

Die FPÖ kommentierte beides mit verschränkten Armen von der Seitenlinie aus. Dass man selbst eine Gewissenserforschung betreiben müsse, wurde der Parteispitze spätestens seit der neuerlichen Teilnahme an einer Regierungskoalition klar. Wie bei allen Parteien erfolgte der Beschluss nicht ganz freiwillig: Die sogenannten Einzelfälle waren zu zahlreich, der öffentliche Druck zu stark geworden. Der Hinweis, dass andere auch Flecken auf ihrer Weste hätten, zog nicht mehr. Die gaben es inzwischen nämlich selbst offen und selbstkritisch zu.

Was die jetzt laufende Geschichtsaufarbeitung der FPÖ aber interessant macht, ist die Diskrepanz zwischen dem, was zur Geschichte der Partei hinlänglich dokumentiert ist, und der konstruktiven Mitarbeit derselben Partei in einer Koalitionsregierung, die jahrzehntelang überfällige Restitutionsgesetze umgesetzt hat: Gesetzesvorhaben übrigens, die SPÖ und ÖVP-Regierungen immer wieder verschoben haben.

Die Wahrheit macht frei

Dass die FPÖ und ihre Vorläuferorganisationen ein weit stärkerer Magnet für „Ehemalige“ waren als andere Parteien, ist unbestreitbar. Wie unklar und unsauber die Beziehungen zu rechtsextremen Organisationen waren, belegte schon vor 25 Jahren das „Handbuch des Rechtsextremismus“. Die Ironie der Geschichte will es, dass diese Publikation heute geradezu wie ein Vorläufer der von Vizekanzler und Parteichef Strache versprochenen Geschichtsaufarbeitung ist. Es hätte dabei für die FPÖ durchaus genügt, Berührungsängste abzulegen, sich mit dem – als „Privat-Stasi“, „kommunistische Tarnorganisation“ und „letzte Stalinorgel“ verunglimpften – Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands zusammenzuraufen und zu resümieren, was war und möglicherweise heute noch ist: Und politisch eine rote Linie zu ziehen, was einfach nicht sein darf und in Zukunft nicht toleriert wird. Wie bei jeder Bilanz bedürfte es dazu aber jenes minimalen Vertrauens zwischen dem Prüfer und dem Geprüften, ohne das jede Prüfung sinnlos ist. Es bedürfte vor allem aber Persönlichkeiten, die die Ergebnisse einer solchen Bestandsaufnahme in den eigenen Reihen vertreten und notwendige Konsequenzen durchsetzen.

Prozesse wie dieser sind schmerzhaft und dauern Jahre. Die katholische Kirche und kommunale Einrichtungen durchlaufen ihn auf einem anderen Gebiet eben seit Jahren. Kardinal Schönborn hat ihn in dem Apostelwort „Die Wahrheit wird euch frei machen“ zusammengefasst. Wäre das nicht auch ein Motto für die FPÖ?

Frei machen wozu? Etwa einer Aufstellung, an welchen Restitutionsmaßnahmen der Regierung Schüssel die FPÖ-Spitze mitgewirkt hat, ohne vorher die eigene Parteibasis basisdemokratisch einzubinden. Oder einer Sammlung jener Reden zur jüngeren Geschichte, die FPÖ-Regierungspolitiker seit einigen Jahren bei Gedenkanlässen halten. Strache hat als Privatperson die neue Ausstellung in der Gedenkstätte Mauthausen besucht und soll sich dabei sehr verständnisvoll geäußert haben. Die Abgrenzung von freiheitlichen Regierungsmitgliedern gegenüber der NS-Diktatur, ihr Bekenntnis zur österreichischen Nation, ihre Absage an den Ungeist des Dritten Reich, die Aussagen gegen Antisemitismus, die Beschwörung des Existenzrechts Israels – all das wurde von Spitzenvertretern gesagt und liegt vor. Auch ein kritischer Journalist wie Armin Wolf hat das erst kürzlich in der „ZiB 2“ sehr korrekt erwähnt. Strache hat 2018 versprochen, auch gegen den Antisemitismus in eigenen Reihen vorzugehen. Man mag das alles als Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden abtun, aber selbst wenn dieser Verdacht zutrifft: Solche Aussagen hat man vor 30, 40 Jahren aus Jörg Haiders Mund nicht vernommen. Das Schicksal liberaler Köpfe in der FPÖ belegt es: Wer immer so sprach, provozierte Palastrevolutionen oder wurde Opfer von Säuberungen. In einer seiner gemessen-klugen Stellungnahmen hat der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, den Historikerbericht als „vertane Chance“ bezeichnet. Wie wahr. Man muss Probleme ansprechen, um unter Schmerzen frei zu werden. Vielleicht liest man in österreichischen Parteien nicht nur „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, sondern gelegentlich auch Grillparzer. Der schrieb einmal: „Niemand ist rein. Das Schlimme will sein Recht. Und wer's nicht beimischt tropfenweis dem Guten, den wird's gesamt mit Eimern überfluten“ – eine Weisheit, die nicht nur für das freiheitliche Lager gilt.

Kurt Scholz hat vor eineinhalb Jahren auf Einladung von Wilhelm Brauneder einen kritischen Beitrag für einen geplanten FPÖ-Sammelband verfasst und dann nie wieder etwas gehört. Er ist nicht Mitglied der FPÖ-Historikerkommission. Sein Beitrag ist komplett lesbar unter: diepresse.com/scholz

Der Autor

Kurt Scholz (*19. August 1948) ist Vorsitzender des
Zukunftsfonds der Republik Österreich. Er war Sonderbeauftragter der Stadt Wien für Restitutions- und Zwangsarbeiterfragen und amtsführender Stadtschulratspräsident. Er war viele Jahre Kolumnist der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2019)

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