Die „Winterreise“führt hier bis nach Südafrika

Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser musizierten Schubert – zu Filmen von William Kentridge.

Bedrohliche Haken, weiße Linien, die – als Kometen oder Bomben? – detonierten, Todeslisten, wehende Blätter, die sich zu Figuren zusammenfügten. Es sind 24 Animationsfilme, die William Kentridge schon anlässlich der Uraufführung der Produktion 2014 bei den Wiener Festwochen zu Schuberts „Winterreise“ schuf und die Intendant Markus Hinterhäuser, selbst am Flügel agierend, nun nach Salzburg ins Große Festspielhaus holte.

Ein Sammelsurium oft surrealer Einfälle, die keineswegs illustrierten, was Matthias Goerne sang, das wäre auch zu platt gewesen. Zwar gab es Krähe, Wanderer und Lindenbaum. Ansonsten aber hat der südafrikanische Künstler frei assoziiert und in seinem Archiv geschürft. Da kamen „Wasserfluten“ aus einem Duschkopf, „gefrorene Tränen“ sind weiße Tropfen, auch Computertomografien des menschlichen Schädels gab es. Kentridges persönliche Winterreise hängt auch mit seiner Jugend in Südafrika zusammen, als sein Vater Fischer-Dieskau-Aufnahmen mit Schuberts Liedern hörte.

Ein Schmerz für die Welt

All das ist legitim, behandelt der Zyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller doch die großen Fragen der Menschheit, außerdem macht es den Schubert'schen respektive Müller'schen Weltschmerz des Einsamen zum Schmerz vieler. Was hier auf die Leinwand projiziert wurde, lenkt aber auch ab. Denn es ist unmöglich, nicht hinzuschauen, das Eigentliche läuft Gefahr, in den Hintergrund zu geraten. Als ein Lied lang die Videoprojektion ausfiel, genoss man es, Goernes Interpretation pur zu hören. Begleitet von Markus Hinterhäuser am Flügel gefiel er mit seiner mal anschmiegsamen, mal mit Nachdruck dramatischen, wenngleich nie polternden Art und seinem dunkel timbrierten Bariton. Dass er es wie wenige andere beherrscht, seine perfekte Mischtechnik vom hohen Register bruchlos in die Tiefe und sofort wieder hinauf zu führen, wurde gerade bei Schuberts Liedern evident. Die Paarung mit Hinterhäuser am Flügel war symbiotisch, dieser agierte spitzfindig und einfühlsam. So wurde die „Winterreise“ zum multimedialen Erlebnis, das sichtlich Anhänger fand, aber auch den Wunsch nach Reduktion aufkeimen ließ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2019)

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