Deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal geschrumpft

Schienenfahrzeugproduktion bei Stadler in Berlin 2019 02 12 Berlin Deutschland Schienenfahrzeugp
Schienenfahrzeugproduktion bei Stadler in Berlin 2019 02 12 Berlin Deutschland Schienenfahrzeugpimago/Jürgen Heinrich
  • Drucken

Sollte die Wirtschaft beim Nachbarn im laufenden Sommerquartal erneut schrumpfen, dann sprechen Experten von einer "technischen Rezession“. Die Gefahr wird auf 43 Prozent geschätzt.

Wie Experten aufgrund der Handelskonflikte und einer schwächere Weltkonjunktur erwartet haben, hat die exportorientierte deutsche Wirtschaft im Frühling eine Vollbremsung hingelegt. Belastet von internationalen Handelskonflikten und der Abkühlung der Weltwirtschaft schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Das teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch in einer ersten Schätzung mit.

Zum Jahresanfang war Europas größte Volkswirtschaft noch um 0,4 Prozent gewachsen. Zuletzt hatten sich auch die Aussichten für die kommenden Monate eingetrübt. Ein Konjunkturabsturz im Gesamtjahr wird jedoch nicht erwartet.

Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft sieht in der "konjunkturellen Abkühlungen keinen Grund zur Sorge". Auch aus Sicht von Carsten Brzeski, ING-Chefvolkswirt Deutschland gibt es keinen Grund zur Panik. Es mehren sich jedoch die Stimmen, die mehr Investitionen der öffentlichen Hand fordern, um die Konjunktur in dem rauen Klima wetterfest zu machen.

Gebremst wurde die Entwicklung nach Angaben der Statistik-Behörde vom Außenhandel. Die Exporte von Waren und Dienstleistungen sanken im Vergleich zum Vorquartal stärker als die Importe. Die Abkühlung der Weltwirtschaft, die Unsicherheiten wegen des Handelskonflikts zwischen den USA und China sowie die Unwägbarkeiten des Brexit belasten die exportorientierte deutsche Industrie. Hinzu kommt der Strukturwandel in der Autoindustrie durch die Elektromobilität.

Zuletzt gab es immerhin ein Signal der Entspannung im Streit zwischen Washington und Peking. Angesichts drohender Preissteigerungen vor dem Weihnachtsgeschäft kündigte die US-Regierung eine Verschiebung neuer Strafzölle auf Elektronikgeräte und andere Importe aus China an.

Gestützt wurde die Konjunktur von der Kauflaune der Verbraucher in Deutschland. Die Menschen sind angesichts niedriger Arbeitslosigkeit und gestiegener Löhne und Gehälter in Konsumlaune. Zudem wirft Sparen wegen der Zinsflaute kaum mehr etwas ab. Zuletzt wurden die Verbraucher nach Angaben der GfK-Konsumforscher beim Geldausgeben allerdings vorsichtiger. Meldungen über Personalabbau und die Einführung von Kurzarbeit ließen demnach die Angst vor einem Jobverlust wachsen.

Auch die Konsumausgaben des Staats, zu denen unter anderem soziale Sachleistungen und Gehälter der Mitarbeiter zählen, legten von April bis Ende Juni zu. Die Bauinvestitionen sanken dagegen. Wegen des vergleichsweise milden Winters war das erste Quartal für den Bau allerdings auch ungewöhnlich stark.

Altmaier: „Weckruf"

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete die Zahlen als "Weckruf und ein Warnsignal". Gleichzeitig sagte der Minister der "Bild"-Zeitung (Mittwoch) aber: "Ein deutlicher Abschwung zeichnet sich nicht ab." Gegenüber dem Vorjahreszeitraum wuchs die deutsche Wirtschaft bereinigt um Kalendereffekte im zweiten Quartal um 0,4 Prozent.

Die für das dritte Vierteljahr erhoffte Konjunkturerholung steht nach zuletzt eher schwachen Daten zunehmend in Frage. "Ein negatives drittes Quartal in Deutschland ist wahrscheinlich und damit eine zumindest leichte Rezession", sagte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bleibt die deutsche Wirtschaft "in einem Graubereich zwischen Magerwachstum und Rezession".

Sinkt die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in Folge, sprechen Ökonomen von einer "technischen Rezession". Es handelt sich in diesem Fall aber nur um eine sehr milde Rezession. Anders sähe es aus, wenn die Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr gegenüber dem Vorjahr schrumpft. Damit rechnet aktuell jedoch niemand. Für das Gesamtjahr ging die deutsche Regierung zuletzt von einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent aus. Im vergangenen Jahr war das Bruttoinlandsprodukt insgesamt um 1,5 Prozent gestiegen. Das Bundesamt korrigierte frühere Daten leicht nach oben.

Alle Branchen betroffen

"Der Rezessionsspuk wird realer. Aktuell ist die Wirtschaftsleistung zwar nur leicht geschrumpft, seit einem Jahr tritt sie aber bereits auf der Stelle“, sagte Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe.

Nach dem guten Jahreseinstieg sind die Unternehmen in der harten konjunkturellen Realität angekommen, kommentierte DHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben die Zahlen. Dabei sei derzeit keine Wende in Sicht. In der DIHK-Konjunkturumfrage berichten die Betriebe von einem deutlich verdunkelten Ausblick. Die Geschäftserwartungen gehen in allen Branchen zurück, sagt Wansleben weiter. Die Erwartungen an das Auslandsgeschäft seien so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Für Mittelstandspräsident Mario Hoven ist die harte Landung der Konjunktur hausgemacht. „Der wesentliche Grund für die drohende Rezession liegt aber in der falschen Prioritätensetzung der Bundesregierung. Statt endlich die notwendigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu treffen, um das Schlimmste zu verhindern, wird über neue Steuern und die Grundrente diskutiert“ kritisiert Hoven.

(APA/Reuters)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

GERMANY-TOURISM-BERLIN
International

"Deutschland an der Grenze zu Rezession"

Die deutschen Exporteure steuern auf das schwächste Ergebnis seit der Finanzkrise zu. Vor allem der Zollstreit zwischen China und den USA sowie das befürchtete Brexit-Chaos belasten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.