Die spektakuläre Kehrtwende des SPD-Vizekanzlers

Finanzminister Olaf Scholz (61).
Finanzminister Olaf Scholz (61).(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Olaf Scholz ist bereit, für den Vorsitz der SPD zu kandidieren. Das ist eine Überraschung. Er hatte es immer ausgeschlossen. Doch die Not der Genossen ist groß.

Berlin. Angela Merkel lehnte es immer ab, Parteivorsitz und Kanzleramt zu trennen. Und tat es dann doch. Ihre CDU-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, sie strebe kein Ministeramt an. Und steht nun an der Spitze im Verteidigungsressort. Die SPD schloss eine Große Koalition (GroKo) aus. Und ist nun in ihr gefangen. SPD-Chef Martin Schulz wollte nie unter Merkel Außenminister sein. Und stürzte über den Versuch, es doch zu werden. Es ist die Zeit der großen Kehrtwenden in der deutschen Spitzenpolitik. Und sie ist um eine Episode reicher.

Vizekanzler Olaf Scholz ist bereit, für den SPD-Vorsitz zu kandidieren, meldet der „Spiegel“. Am Abend des Rücktritts von SPD-Chefin Andrea Nahles hatte Scholz in der Talkshow „Anne Will“ ausführlich erklärt, warum der Vorsitz für ihn nicht infrage komme. Das sei als Finanzminister „zeitlich nicht zu schaffen“, sagte der 61-Jährige, und hielt ein Plädoyer gegen Ämterhäufung. Jedenfalls habe er eine Kandidatur für sich „sofort ausgeschlossen“.

Abgleiten ohne Ende

Zwei Monate ist das her. In der Zwischenzeit ging es für die Genossen weiter bergab. Umfragen weisen die SPD bei zwölf Prozent aus. Und der noch bis 1. September laufende Bewerbungsprozess geriet zur Farce. Von einer „Katastrophe“ war zu hören. Natürliche Favoriten winkten ab, aus der ersten Reihe meldete sich niemand. Vielleicht mit Ausnahme von SPD-Vize Ralf Stegner, dessen Kandidatur an der Seite der 76-jährigen Gesine Schwan aber für den meisten Spott gesorgt hat. Der Parteilinke ist oft mit heruntergezogenen Mundwinkeln zu sehen. Für viele steht er damit ganz bildlich für die Krise der SPD. Den größte Schlag versetzte den Sozialdemokraten dann die Absage von Franziska Giffey. Auf der Familienministerin ruhten die größten Hoffnungen.

Die SPD suchte händeringend nach einem großen Namen. Und laut „Spiegel“ sollen sich die drei SPD-Minister Heiko Maas, Hubertus Heil und Olaf Scholz schon am Wochenende geeinigt haben. Auf eine Kandidatur von Scholz. Mögliches Kalkül: Weil die Partei in großer Not ist, könnte man ihm die Kehrtwende nachsehen. Dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister fehlt noch eine Dame an seiner Seite. Die SPD hat klargemacht, dass sie sich eine Frau-Mann-Doppelspitze wünscht. Auch, wenn Einzelkandidaturen möglich sind.

Scholz war schon einmal Parteichef. Kommissarisch für zwei Monate, bis Nahles übernahm. Die beiden bildeten ein Tandem. Nahles' Abgang hat ihn geschwächt. Aber Scholz gilt als begnadeter Netzwerker. Und als Pragmatiker. Während andere Genossen zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen am ausgeglichenen Haushalt rütteln, verteidigte er die „schwarze Null“. (Im Falle einer Rezession würden Merkel und Scholz aber Schulden machen, wie der Spiegel berichtet). 

Ein großer Redner ist Scholz nicht. Er hat einen Hang zum Floskelhaften. Die „Zeit“ hat ihn einmal den „Scholzomat“ getauft. Aber er hat Selbstvertrauen. Als die SPD in den Umfragen schon abgestürzt war, erklärte Scholz, er traue sich das Kanzleramt durchaus zu. Das gilt auch für den SPD-Vorsitz.

Die Basis aber fremdelt mit Scholz. Auf Parteitagen bekommt er bei der Wahl der SPD-Stellvertreter verlässlich das schlechteste Ergebnis. Und am Freitag ist Scholz ernst zu nehmende Konkurrenz erwachsen. Niedersachsens Landesminister Boris Pistorius und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping kündigten ihre Bewerbung an. Sie wird dem Vernehmen nach um das Thema Sicherheit in allen Facetten kreisen. Pistorius stammt aus der Kaderschmiede Niedersachsen. Viele hatten gehofft, sein Ministerpräsident Stephan Weil würde selbst antreten.

Einer hat noch keine Tendenzen gezeigt: Juso-Chef Kevin Kühnert. Seine Kandidatur wäre der größtmögliche Gegensatz zu Scholz: jung, sehr links, gegen die Große Koalition. Scholz stünde für Stabilität, für Ruhe. Im Dezember ist Parteitag. Er wird die Krönungsmesse für die nächsten SPD-Chefs, die im Oktober die Mitglieder bestimmen. Auf dem Parteitag könnte aber auch der Ausstieg aus der Großen Koalition beschlossen werden. Ein SPD-Chef Scholz wäre dann sofort beschädigt. Er gilt als einer der letzten Verteidiger der GroKo. Falls er nicht noch eine Kehrtwende macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2019)

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