Die britische Regierung rechnet in einem internen Bericht im Fall eines harten Brexit Ende Oktober mit wochenlangen Nachbeben. Abgeordnete fordern Premier Johnson auf, die Sommerpause des Parlaments frühzeitig zu beenden.
Für den Fall eines harten Brexits rechnet die Regierung in London einem Medienbericht zufolge mit Engpässen bei Lebensmitteln, Benzin und Medikamenten. Sollte Großbritannien kein Austrittsabkommen mit der Europäischen Union (EU) abschließen, drohten zudem eine Blockade an den Häfen und eine harte Grenze zu Irland, schreibt die Zeitung "Sunday Times" unter Berufung auf Regierungsdokumente.
Die Behörde Cabinet Office prognostiziere in diesen Unterlagen die wahrscheinlichsten Nachbeben eines ungeordneten EU-Austritts Großbritanniens. Demnach müssten Lastkraftwagen wegen der Zollkontrollen mit Verzögerungen von bis zu zweieinhalb Tagen rechnen. An den Häfen dürften die Störungen bis zu drei Monate dauern, bis sich der Zustand etwas verbessere. Außerdem könnte es zu landesweiten Protesten kommen.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat angekündigt, den Brexit spätestens am 31. Oktober vollziehen zu wollen, mit oder ohne einem Abkommen mit der EU. Ende Juli hatte Johnson erklärt, die Vorbereitungen für einen Austritt ohne Vertrag in allen Bereichen zu beschleunigen - von den Häfen über Banken bis zu den Krankenhäusern.
„Stehen vor einem nationalen Notstand“
Mit seinem harten Kurs stößt er jedoch auf Widerstand im Unterhaus, das sich Mitte März explizit gegen einen ungeregelten Brexit ausgesprochen hatte: Mehr als hundert der 650 Abgeordneten im britischen Unterhaus forderten Johnson am Sonntag auf, das Parlament sofort für Brexit-Beratungen aus der Sommerpause zurückzurufen. "Unser Land steht am Rand einer Wirtschaftskrise, da wir auf einen Brexit ohne Abkommen zurasen", so in einem Brief der Abgeordneten. "Wir stehen vor einem nationalen Notstand und das Parlament muss jetzt zurückgerufen werden."
Das britische Parlament kommt eigentlich erst am 3. September aus der Sommerpause zurück. Danach wird es noch einmal eine Sitzungspause geben: In der Parlamentspause im September halten die britischen Parteien traditionell ihre Jahresparteitage ab. Die Abgeordneten fordern nun, das Parlament sofort wieder einzubestellen und bis zum Austrittsdatum am 31. Oktober keine Sitzungspause mehr einzulegen.
Johnson wollte Unterhaus umgehen
Das Parlament hatte das von Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen drei Mal durchfallen lassen, gleichzeitig aber auch gegen einen Brexit ohne Abkommen gestimmt. Während seiner Bewerbung um den Tory-Parteivorsitz hatte Johnson daher eine Auflösung des Unterhauses nicht ausgeschlossen, um einen ungeregelten Brexit notfalls am Parlament vorbei durchzusetzen.
Stein des Anstoßes in dem mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag ist die sogenannte Backstop-Regelung zur Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Land Irland. Dort soll es nach dem Willen von Brüssel auf keinen Fall wieder Kontrollen geben. Ansonsten wird ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet, wie in den Jahrzehnten vor dem Nordirland-Friedensabkommen von 1998.
(APA/dpa/Reuters)