Ein „Mozart-Versteher“ und ein echter Könner

Morgens interpretatorischer Überdruck mit Pichon, abends Brillanz mit Viotti.

Der modische Originalitätswahn hat nun auch die sonst so seriöse Veranstaltungsreihe der Mozart-Matineen infiziert. Der junge französische Dirigent Raphaël Pichon möchte erzählen, in welcher Atmosphäre Mozart zum Stil seiner Da-Ponte-Opern gefunden hat; anhand von thematisch und stilistisch relevanten Fragmenten aus Mozarts Hand, dezent gemixt mit Zeitgenössischem. Mehrfach in Arrangements, damit das Ganze nicht zu seriös daherkommt.

Was sich wie ein dramaturgischer Gehversuch ausnimmt, bedeutet in der Realität, dass die Verpackung wichtiger erscheint als der Gegenstand selbst – die Musik. Pichon hätte dem Genius Loci mit einer sorgfältigeren musikalischen Ausführung allerdings besser gedient denn als angeberischer Mozart-Versteher. Er ist ein dirigentischer Hitzkopf mit ausgeprägter Manie zum Überzeichnen. Das Mozarteumorchester Salzburg jedoch ist ein geduldiger Klangkörper, dessen Belastbarkeit und Routine auch durch permanenten Volldampf nicht zu erschüttern sind. Kaum minder tapfer eine Schar von jungen Nachwuchssängern, die mit Talent so manche Überforderung zu kaschieren trachteten.

Alles Oberlehrerhafte war schnell vergessen, als am Abend im Großen Saal des Mozarteums die Camerata Salzburg mit Lorenzo Viotti zu einem fulminanten Programm ansetzte.

Cleveres Spiel für Béla Bartók

Es scheint so frech wie frivol, Bartóks extrem heikle (und daher so gefürchtete) „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ auf dem kleinen Podium quasi in Kammerbesetzung aufführen zu wollen. Doch der mit so vielen Begabungen gesegnete junge Viotti schafft es auch, aus der Not eine Tugend zu machen. Spielerisch-natürlich hält er den vielschichtigen Apparat zusammen und animiert die hoch motivierte Camerata zu cleverem Spiel, das mit Durchsichtigkeit und Attacke einen Bartók-Jargon ergibt, bei dem es weder Haupt- noch Nebenstimmen gibt, denn es handelt sich um in Töne gegossene Dialektik.

Die zweite Programmhälfte gehörte Klarinettengroßmeister Andreas Ottensamer, der mit einem Feuerwerk an Virtuosität Webers Erstes Klarinettenkonzert aller biedermeierlichen Gemütlichkeit entriss. Deutsche Romantik mit Ecken und Kanten, Abgründe inklusive – eine interpretatorische Großtat. Zum Dessert ein Zuckerl aus der Hand von Ottensamers Berliner Orchesterkollegen Stephan Koncz: „Ungarische Fantasie nach Themen von Carl Maria von Weber“ – alles, was aus der Wolfsschlucht übrig geblieben ist, versetzt mit scharfem Paprika.

Zündendes Finale: Kodálys papierene „Tänze aus Galánta“ dank Viottis Elan aus seriöser Perspektive. Er versteht seinen Job: ein ungarischer Brahms-Tanz als Encore.

Apropos: Es ist en vogue „Viotti schau'n“ zu gehen – auch unter der Prominenz von Peter Sellars bis Bogdan Roščić . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2019)

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