„Alpbach, wer bist du?“

Katharina Früschl-Roßboth
  • Drucken

Alpbach Moments II. Ein Ort, der kritische Fragen stellt – und manche auch beantwortet.

Überwältigend; so fühlen sich die ersten Tage in Alpbach an. Fast stündlich treffe ich interessante neue Menschen. Impressionen strömen konstant auf mich ein. Seminare, hitzige Diskussionen und Partys im Jakober lassen Tag und Nacht ineinander zerfließen. Alpbach und ich, wir gehen auf Tuchfühlung.

Doch was ist Alpbach? Ein Dorf, ein Event, eine Institution? Ich fühle, wie ich mit jeder Interaktion dem vielzitierten „Spirit of Alpbach“ näherkomme. Ich entdecke die Seminare als „Herz von Alpbach“ und höre von der „europäische Seele“ des Forums. Mehr und mehr habe ich das Gefühl, eine Persönlichkeit Alpbach kennenzulernen. Eine Persönlichkeit, die aus der Wechselwirkung tausender Personen, ihrer Geschichten und der Geschichte des Forums emergiert und wieder auf sie zurückwirkt.

Alpbach hat seinen eigenen Charakter. Man könnte sagen, es ist europäisch, innovativ, selbstbewusst und vielleicht ein bisschen abgehoben. Doch diese Begriffe sind oberflächlich.

„Alpbach, was bewegt dich wirklich?“, frage ich mich. Nach den ersten durchwegs positiven Seiten Alpbachs werde ich mit einem dunklen Charakterzug konfrontiert: Verunsicherung. Wir reden von Trump und wie der Populismus uns Eliten überrumpelt hat. Wir reden vom postfaktischen Zeitalter, der neuen Weltordnung, internationalen Konflikten und Klimawandel. Und was jetzt?

Es folgen sorgfältig gewählte Worte der Ratlosigkeit. Von den Panels strömt kollektives Unwohlsein. Ein Gefühl von Kontrollverlust liegt in der Luft. „Alpbach, bist du gekränkt?“, frage ich mich: „Alpbach, hast du Angst?“

Mit einem dumpfen Gefühl verlasse ich das Konferenzzentrum. Es zieht mich ins Grüne, weg von Trump und der neuen Weltordnung und unter den nächsten Baum. Unweit rückt ein Bauernbub zufrieden mit der Heugabel Grasbüschel zurecht. Linderung für meinen Weltschmerz.

Mit der Zeit füllt sich der Platz unter dem Baum mit Studierenden. Wir lernen uns kennen, diskutieren und genießen den Tag. Das Dorf Alpbach erdet uns. Wir trauen uns wieder zu träumen. Probleme können gelöst werden, Konflikte beigelegt werden. Es liegt an uns. „Lass uns träumen, Alpbach!“, sage ich zu mir.

Die Persönlichkeit von Alpbach ist auf weiten Spannungsbögen gebaut: Jung und Alt, Bergbauerndorf und Elitentreff, kollektiv und individuell, realistisch und verträumt. Die Zeit in Alpbach ist eine Zeit mit Alpbach. Sie hinterlässt Eindrücke in Form von Fakten, Kontakten, Gefühlen. Eindeutig, die Begegnung mit Alpbach verändert. Und so ist nach dem Forum die Frage nicht mehr „Alpbach, wer bist du?“, sondern: „Alpbach, und wer bin ich?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

TIROL: EUROPAeISCHES FORUM ALPBACH 2019: EROeFFNUNG:
Meta-Nachrichten

Meine Geschichte: Highlights vom Zauberberg

Die schönsten, persönlichsten und prägendsten Geschichten zum Europäischen Forum Alpbach in der „Presse“ und im Herbst auch in einem Buch.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.