Karten im Zug

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wenn mir Leute sagen, dass sie Zugfahrten nicht mögen, dann weiß ich gar nicht wohin mit meiner schweren Ratlosigkeit

Wenn mir Leute sagen, dass sie Zugfahrten nicht mögen, dann weiß ich gar nicht wohin mit meiner schweren Ratlosigkeit. Aus Vorarlberg kommend und in Wien wohnend verkauft man seine Seele ja automatisch den ÖBB, aber bei uns ist es mehr als diese Zwangsliebe, es ist die lange und atmosphärische Strecke, die zwei Zu-Hausen verbindet. Ein Wochenende heimfahren zahlt sich bei uns eher nicht aus, außer man will der Mama nur ein Bussi geben, allerdings muss man danach sofort wieder durchs Dorf rennen, um den Landbus 11 zum Bregenzer Bahnhof zu erwischen.

Vielleicht macht genau diese sakrale Weite innerhalb eines eigentlich kleinen Landes die Zugfahrt ein wenig spezieller und sentimentaler. In allen möglichen Zügen habe ich jedenfalls die kuriosesten Geschichten für meine Memoiren gesammelt. So habe ich mich einmal leichtsinnigerweise vom Sitznachbarn in ein Gespräch verwickeln lassen, der hat mir dann die gesamte Strecke zwischen Salzburg und St. Pölten erklärt, wie man Sushireis zubereitet. In St. Pölten hat er sein Reisreferat abrupt beendet und ist wortlos (!) ausgestiegen.

Vor wenigen Tagen bestiegen wir einen Bummelzug im Kärntnerischen Richtung Salzburg. Eine Zeit lang herrschte eine gschaftige Wohligkeit in meinem Waggon. Leute haben gelesen, geredet, eine größere Gruppe junger deutscher Wanderer hat, aufgeteilt auf zwei Vierer-Sitze, ein kompliziert wirkendes Kartenspiel gespielt. Dann brach es an einem größeren Bahnhof auf uns herein, Scharen bevölkerten den Zug, suchten nach Sitzplätzen, ein Kind schrie, eine arabische Touristenfamilie verlor die Orientierung, Koffer blieben stecken, Dinge fielen runter und nach Flieder hat es generell auch nicht gerochen. Ob der vielen Reservierungen musste sich die deutsche Gruppe auf einzelne Sitze quer durch den Waggon zerteilen. Erst später haben wir bemerkt, dass inmitten dieses Tumults die jungen Wanderer ihr Kartenspiel aufrecht erhalten haben. Einer von ihnen, eine Art Skipper, hat einzelne Karten durch den Gang getragen und Sätze geflüstert wie „Lukas hat gestochen!“ Vielleicht nenne ich so meine Memoiren.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2019)

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