Im Callcenter ist der Blinde nicht mehr behindert

Im barrierefreien Büro sei ein Rollstuhl keine Behinderung, so Gregor Demblin.
Im barrierefreien Büro sei ein Rollstuhl keine Behinderung, so Gregor Demblin.Getty Images/Tetra images RF
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Viele Firmen zahlen lieber Strafe, als Behinderte einzustellen. Voriges Jahr kassierte der Staat so 160 Millionen Euro.

Wien. Die Geschichte von den wählerischen Unternehmern erzählt Johannes Kopf gern und oft: Sie suchen junge gesunde Männer, die perfekt Deutsch sprechen und gesund und erst kurz arbeitslos sind. Das treffe auf acht Prozent der Arbeitslosen zu, sagt der Chef des Arbeitsmarktservice (AMS). Alle klagen über den Fachkräftemangel. Bei der Personalsuche seien viele Firmen aber zu selektiv. Und da werden auch Menschen mit Behinderung ausgesiebt. „Man verzichtet hier auf eine wertvolle Ressource an Fachkräften“, sagte Kopf am Mittwoch vor Journalisten.

Aber die Bereitschaft, Menschen mit Behinderung einzustellen, steigt. Aktuell sind beim AMS rund 3300 offene Stellen vorgemerkt, die sich explizit auch an Menschen mit Behinderung richten. Die Arbeitslosigkeit der „begünstigt behinderten Menschen“ – das sind jene mit einem offiziellen Behindertenstatus – sank voriges Jahr von neun auf 8,1 Prozent. Sie lag aber immer noch deutlich über der allgemeinen Arbeitslosenquote von 7,7 Prozent. Gleichzeitig stieg die Beschäftigung in der Gruppe um 2,4 Prozent und damit etwas stärker als die allgemeine Beschäftigung. Unter dem Strich waren aber nur 56 Prozent der begünstigt Behinderten erwerbstätig, deutlich weniger als im Schnitt der Gesamtbevölkerung, wo rund 69 Prozent erwerbstätig sind.

Wer nicht einstellt, zahlt

Laut AMS-Chef Kopf ist das Thema nicht nur ein soziales, sondern „in hohem Maße ein ökonomisches“. Nicht nur, dass den Firmen mögliche Mitarbeiter durch die Lappen gehen. Sie zahlen auch Länge mal Breite: In Österreich sind Unternehmen ab 25 Mitarbeitern verpflichtet, je 25 Dienstnehmer einen begünstigt Behinderten zu beschäftigen. Aber viele Firmen zahlen lieber die Ausgleichstaxe von bis zu 391 Euro, als dieser Pflicht nachzukommen: Laut Daten des Sozialministeriums waren voriges Jahr 20.481 Betriebe einstellpflichtig, aber nur 4379 davon hatten Behinderte beschäftigt. Die säumigen Firmen zahlten 160 Mio. Euro Pönale in den Topf, fünf Mio. Euro mehr als 2017.

Dass viele Unternehmen lieber zahlen, als Behinderte einzustellen, liege an räumlichen Barrieren, wie auch an Barrieren im Kopf, sagt der Unternehmensberater Gregor Demblin, der seit einem Badeunfall mit 18 Jahren selbst querschnittsgelähmt ist. Seine Firma Myability begeht heuer ihren zehnten Geburtstag, seither habe sich die Lage für Arbeitssuche mit Behinderung stark verbessert, sagte er am Mittwoch. Es gebe aber immer noch festgefahrene Vorstellungen in den Köpfen, so Demblin. „Man merkt oft schon im Gespräch: Das Gegenüber kann sich gar nicht vorstellen, dass man die erwartete Leistung erbringt.“

Der Mensch sei nicht per se behindert – erst das Umfeld mache die Behinderung. Wenn man im Rollstuhl in einem barrierefreien Büro arbeite, habe man keine Behinderung. Das Gleiche gelte für einen Blinden, der im Callcenter arbeitet. Diese Barrieren könne man nur mit Bewusstseinsarbeit abbauen, Zwang bringe nichts. Eine Erhöhung der Ausgleichstaxe lehnt Demblin deshalb ab.

Kündigungsschutz wirkt nach

In Österreich leben laut Myability 1,7 Millionen Menschen mit Behinderung. Mit 110.741 hat nur ein Bruchteil von ihnen den Begünstigtenstatus. Auch, weil viele den offiziellen Stempel scheuen. Viele sind frühpensioniert und scheinen nicht in der Arbeitsmarktstatistik auf. Der strenge Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung wurde 2011 zwar gelockert, laut Behindertenvertretern sei in den Köpfen aber immer noch verankert, dass man einen Behinderten, den man einmal eingestellt hat, nicht mehr los werde. Ein gut gemeintes Gesetz, das sich rückblickend als Bumerang erwiesen hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2019)

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