Grätzeltour

Wien Aspern: Vom "Löwen" in die Seestadt

Sylvia Schlagintweit im Kräutergarten auf der Apotheke "Zum Löwen von Aspern".
Sylvia Schlagintweit im Kräutergarten auf der Apotheke "Zum Löwen von Aspern".(c) DIMO DIMOV
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Von der Groß-Enzersdorfer-Straße bis zur Sonnenallee: Mit der kulturaffinen Apotheken-Mitbesitzerin Sylvia Schlagintweit unterwegs durch die Wiener Donaustadt.

„Heute haben wir nichts verkauft, aber gestern total viel!“ Die Kinder in Badesachen versuchen sich in der sonnigen Maria-Tusch-Straße in der Seestadt an einem kleinen Straßenflohmarkt. „Wir haben uns alle gut eingecremt“, meinen sie auf die Frage von Sylvia Schlagintweit, ob ihnen in der prallen Sonne nicht zu heiß ist – die neu gepflanzten Bäume sind noch klein.

Wer täglich mit Gesundheitsprodukten zu tun hat, denkt eben an Sonnenschutz – auch wenn Schlagintweit keine Pharmazeutin wie ihr Mann Willi, sondern im Kultur- und im Marketingbereich tätig ist. Und sie hat ein Faible für Pflanzen, vor allem für Kräuter.

Denkraum- und JAspern-Pioniere

Willi Schlagintweit übernahm 2003 die Apotheke „Zum Löwen von Aspern“ in der Groß-Enzersdorfer-Straße. Der Neubau – samt Kräutergarten am Dach, den Sylvia Schlagintweit anlegte und betreut – sorgte damals für Aufsehen, ebenso die Idee, die Apotheke als Kulturzentrum zu nutzen. Bis heute fanden im Denkraum Donaustadt zahlreiche Programme, Lesungen, Kräuterführungen, Konzerte und ähnliches statt, der Club der kleinen Löwen für Kinder wurde gegründet.

„2014 kam die Seestadt-Apotheke dazu, noch im Rohbau“, erzählt Schlagintweit, die deren Planung und Gestaltung übernahm. Das Haus an der Maria-Tusch-Straße 12/Ecke Sonnenallee war das erste bezogene in der Seestadt, und ein von Architekten und Bewohnern in der Baugruppe JAspern gemeinsam entwickeltes. „Ein langer und mitunter mühsamer Prozess für ein sehr schönes und lebenswertes Haus“. Wohnort blieb trotz Überlegungen aber die Altbauwohnung im vierten Bezirk.

„Wir gaben damals eine Befragung und Studie in Auftrag um herauszufinden, wer unsere Kunden sind und was sie sich wünschen. Alter und neuer Standort haben sich sehr unterschieden“, erzählt Schlagintweit. „Die Kaufkraft war in der Seestadt weit geringer, mittlerweile hat sich das angeglichen“. Obwohl sich die benötigten Medikamente unterscheiden: 60 Prozent der Seestädter sind unter 18 Jahren. Noch heuer wird die „alte“ Apotheke übergeben, Willi Schlagintweit gewöhnt sich an den Ruhestand. Die neue wird weiterbetrieben, auch die kleinen Löwen gibt es weiterhin. Sie treffen sich nun abwechselnd am alten und neuen Standort und „sorgen auch dafür, dass sich die Leute kennenlernen.“

Altes Dorf trifft neue Stadt

So ruhig es in der Seestadt ist – auf dem Weg dorthin, von Apotheke zu Apotheke, ist noch weniger los. Zwar ist die Groß-Enzersdorfer-Straße stark befahren, doch ein paar Schritte entfernt in der Gemeindebausiedlung Wimpffengasse ist es ruhig. Im Enzianweg herrscht mittäglich-dörfliche Sommerlethargie. Die 1934 von Richard Bauer - dem Erbauer der berühmten Werkbund-Siedlung in Wien 13 - geplanten Doppelhaushälften präsentieren sich heute sehr unterschiedlich, mitunter recht originell um- und ausgebaut. Kein Hund bellt, keine Katze streunt, nur ein Autowäscher ist tätig.

Neben der Straße „An den alten Schanzen“ tuckert dann ein Traktor am grünen Feld, und im Blickfeld tauchen die Häuser und Kräne der Seestadt auf. Der nach den Bollwerken gegen Napoleon genannte Weg geht direkt in die nach der Sozialpolitikerin Maria Tusch benannte Straße über, breite Gehsteige säumen nun die Straße. Rundum ist es grün: Auf einer nahen Wiese hat Schlagintweit schon interessante Pflanzen entdeckt, etwa das schwarze Bilsenkraut, „sehr selten, giftig und schön“.

Spaziergang durch die Architekturgeschichte

Überhaupt zeigt die Gegend anschauliche Beispiele der Architekturentwicklung: Von den - auch meist umgebauten - biedermeierlichen Fuhrwerkerhäusern an der Groß-Enzersdorfer-Straße bis zur heutigen Architektur der Seestadt. Dazwischen: einzelne Gründerzeithäuser, die erwähnte Zwischenkriegssiedlung und die Gemeindebauten aus den späten 1950er-Jahren sowie die 1989-1992 nach Plänen von Jacques Herzog & Pierre de Meron, Otto Steidle & Partner und Adolf Krischanitz errichtete „Pilotensiedlung“ mit 21 unterschiedlichen Häusern am nahen Pilotenweg.

Schlagintweits Lieblingsplätze? „Im Sommer immer die Lobau“ meint sie – „auch der Blick vom Bürofenster in den grünen Innenhof“, die Seeseiten Buchhandlung, der Gastgarten der Pizzeria Portobello. Im „alten“ Aspern hat sie das kürzlich geschlossene indische Restaurant Haveli geschätzt „Eine Ausstattung wie in einem Bollywood Film“. „Es ist ein ständiger Wechsel“, meint sie zu den Geschäften an der Groß-Enzersdorfer-Straße, standhaft sind einzig der Grabstein-Diskont und das Cafe im „Hummelhaus“, das einst sogar die Schlacht um Aspern 1809 überstand.

Zum Ort, zur Person

Aspern, erstmals 1258 erwähnt, kam 1904/05 zu Wien und ist heute Teil des 22. Bezirks. Napoleon verlor hier 1809 erstmals eine Schlacht. Die Seestadt entsteht seit 2010 auf dem ehemaligen Flugfeld. Neue Eigentumswohnungen kosten in der Donaustadt zwischen 2514,0 und 4501,7 Euro/m2, gebrauchte zwischen 1850 und 3173,4.

Sylvia Schlagintweit ist seit 2003 im Denkraum Aspern/Apotheke „Zum Löwen von Aspern“ tätig und wurde im Jänner „Kulturschaffende des Monats“.

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