Das Angebot an Boris Johnson, binnen 30 Tagen einen alternativen Austrittsdeal vorzulegen, dient primär dazu, die Schuld für den drohenden Crash von der EU zu weisen.
London/Brüssel. „30 Tage für einen Deal“ – so fasste der „Daily Express“ die Unterredung zwischen Boris Johnson und Angela Merkel zusammen. Mit dieser Ansage am Titelblatt war das militant antieuropäische Boulevardblatt kein Ausreißer: So gut wie alle britische Tageszeitungen, die sich auf die Seite der Brexit-Befürworter gestellt haben, interpretierten das Ergebnis des Treffens in Berlin als Verhandlungserfolg des britischen Regierungschefs.
Merkel hatte Johnson ersucht, einen eigenen Vorschlag für die Lösung des nordirischen Brexit-Dilemmas zu liefern. Die mit seiner Vorgängerin Theresa May vereinbarte Regelung, die Durchlässigkeit der Grenze zwischen Nordirland und Republik Irland mittels einer Backstop-Klausel zu sichern, ist für Johnson nicht akzeptabel. Kann er bis Ende September mit einer Alternative aufwarten? Die „Daily Mail“, das zweite Leibblatt der Brexit-Befürworter, war sich am Donnerstag sicher: „Ja, we can!“
Doch hinter der Zuversicht verbirgt sich gähnende Leere. Seit mehr als zwei Jahren ist es den Briten nicht gelungen, einen Ersatz für den Backstop zu finden – dieser sieht vor, dass im Fall des Falles entweder das ganze Vereinigte Königreich oder nur sein nordirischer Teil in der EU-Zollunion und eng an die Vorschriften der EU gekoppelt bleibt, um auf Grenzkontrollen verzichten zu können. Die offene Grenze ist Eckpfeiler des Karfreitagsabkommens von 1998, mit dem der blutige Nordirland-Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten beigelegt worden war.