„Man kommt sich gar nicht so alt vor“

Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims müssen oft dazu ermutigt werden, ihre Bedürfnisse zu artikulieren.
Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims müssen oft dazu ermutigt werden, ihre Bedürfnisse zu artikulieren.REUTERS
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Patientensicherheit in Pflegeheimen hat auch mit dem Erleben von Autonomie und Würde zu tun. Die soziale Kooperation mit dem Personal ist dafür essenziell.

Gewalt an älteren Menschen, Ruhigstellen durch Medikamente, Leben auf dem Abstellgleis – die Assoziationen zu Pflegeheimen sind oft düster. Um sich im Heim sicher und gut aufgehoben zu fühlen, brauche es eben mehr als medizinische Maßnahmen, etwa zur Vermeidung von Stürzen oder Wundliegen, sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Doris Pfabigan. „Es braucht die Möglichkeit, Bedürfnisse überhaupt artikulieren zu können“, so die Expertin, die bei einer Diskussionsveranstaltung der Alpbacher Gesundheitsgespräche über das Verhältnis zwischen erlebter Sicherheit und Autonomie von Patienten sprach.

Fürsorgliches Handeln stärkt

Was damit gemeint ist, kommt auch in ihrem Buch über „Autonomie und Würde in der geriatrischen Langzeitpflege“ in Aussagen wie der folgenden zum Ausdruck: „Sie behandeln einen, obwohl man schon so ein alter Mensch ist, man kommt sich gar nicht so alt vor. Ich meine, sie behandeln einen so rücksichtsvoll und nett. Also sie lassen einen das nicht spüren, dass man schon so alt ist. Sie gehen sehr behutsam mit einem vor. Und das ist schon sehr viel wert. Und dadurch fühlt man sich auch wohl.“

Das Zitat einer Heimbewohnerin ist ein Beispiel dafür, wie Pflegepersonal bei Patienten das Gefühl von Würde und Autonomie fördern kann. „Fürsorgliches Handeln in Verbindung mit fachlicher Kompetenz trägt zur Stärkung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens der Pflegebedürftigen bei und macht es in vielen Fällen erst möglich, dass pflegebedürftige Menschen ihre Selbstbestimmung realisieren können.“ Dies treffe insbesondere auf demente Personen und Menschen mit kognitiven Einschränkungen zu, sagt Pfabigan, die früher selbst in der Gesundheits- und Krankenpflege tätig war und heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) arbeitet.Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Themen Würde und Autonomie fließt auch in Pfabigans Arbeit an der GÖG ein. Dort zählt die Entwicklung von Curricula für verschiedene Gesundheitsberufe zu ihren Aufgaben. Welche Kompetenzen müssen vor allem Pflegepersonen in der Ausbildung erwerben, um den Anforderungen gerecht zu werden?

Autonomie durch Beziehung

Für Patienten und Heimbewohner seien gelungene Beziehungen und soziale Kooperation mit Pflegepersonen essenziell für das Empfinden der eigenen Würde und der individuellen Autonomie, fasst Pfabigan zusammen. Dies hat auch eine umfangreiche Sichtung von 306 Forschungsbeiträgen über die Würde von Patienten aus dem Jahr 2018 („Dignity from the nurses' and older patients' perspective“) ergeben.

In Pfabigans eigenes Buch flossen die Ergebnisse einer qualitativen Studie ein. Dafür wurden 26 Bewohner von Pflegeheimen bzw. zuhause betreute Personen aus sechs Bundesländern befragt, wann sie sich in ihrer Würde verletzt oder bestärkt fühlen. „Sind die Organisationsstruktur und der Ablauf so gestaltet, dass sie sich vorrangig am Primat der Ökonomie orientieren, so führt das dazu, dass wesentliche Wünsche und Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen unberücksichtigt bleiben und ihr Recht auf Selbstbestimmung untergraben wird“, so Pfabigan.

Darüber hinaus werde verhindert, dass Pflege- und Betreuungspersonen empathisch auf Bewohner oder Klienten eingehen könnten. „Stattdessen neigen sie eher dazu, Würdeverletzungen zu übersehen, nicht zuletzt um dem Arbeitsdruck zu entkommen.“

Alltagsbewältigung im Kleinen

Um das formale Recht auf Selbstbestimmung in der Praxis mit Leben zu erfüllen, sei eine Vertrauensbeziehung zu den Pflegepersonen essenziell, sagt Pfabigan. „Es braucht oftmals eine Ermutigung, damit Bewohnerinnen und Bewohner ihre Bedürfnisse artikulieren und es braucht sehr oft Unterstützung bei der Durchführung.

Dabei geht es selten um existenzielle Fragen, sondern um Fragen des Alltags, wie beispielsweise um die Auswahl der Kleider, der Beschäftigung, Fragen der Körperpflege, mit welcher Person das Zimmer geteilt wird und ähnliches. Beziehung ist das wichtigste ,Arbeitsinstrument' aller Berufsgruppen in der Langzeitpflege.“ Um diese Beziehungsarbeit zu ermöglichen, brauche es nicht nur ausreichend Personal und Rahmenbedingungen, sondern auch eine entsprechende Leitung. „Es ist eine Führungsaufgabe, dem ethischen Klima in der Organisation besondere Aufmerksamkeit zu schenken.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2019)

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