Kalabrien: Der Zauberstab und die purpurnen Zeichen

Sila-Nationalpark
Sila-NationalparkChristina Höfferer
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Komplexe Themen, erfrischend vermittelt: Mit der Magierin durch die Welt der Literaten und Philosophen. Mit der Museumsleiterin durch die Kirchengeschichte. Und mit dem Naturguide durch Italiens größten Wald.

Verfallende Adelspaläste im gleißenden Licht des Südens. Hellgelb, sandfarben leuchten die Gebäude mit ihren mächtigen in Stein gemeißelten Portalen. Steil ist die Stadtlandschaft, in ihrem Herzen der Dom. Hier befindet sich ein gepflegtes Museum: ein stiller gepflasterter Innenhof, kühle, frisch renovierte Räume. Cecilia Perri leitet das Museum: „Dies ist das erste Diözesanmuseum in Kalabrien, es besteht seit 1952, und wir haben es in seiner heutigen Form 2016 eröffnet“, erzählt sie. Klar, dass hier ein Museum notwendig war, denn das alte Gemäuer, welches sich an den Dom von Rossano schmiegt, beherbergt den „Codex Purpureus Rossanensis“. Die 376 Seiten umfassende Handschrift zählt zum Unesco-Weltkulturerbe, doch es bedurfte der finanziellen Unterstützung vonseiten der Europäischen Union, damit Rossano – im tiefen Süden Italiens – seinen Schatz auch zur Geltung brachte und ihn Reisenden und Einheimischen zugänglich machte. Mit den EU-Förderungen wurde das eindrucksvolle Museum errichtet.

„Um den ,Codex Purpureus‘, der aus dem sechsten Jahrhundert stammt, ranken sich Geheimnis und Faszination“, sagt Perri. Die dicken Papyrusseiten leuchten purpurfarben, sie wurden von den frühmittelalterlichen Buchkünstlern in ein kostbares Farbbad getaucht. Purpur war die Farbe der Kaiser. Aus dem tiefroten Grund treten bunte Darstellungen mit Szenen aus den Evangelien hervor. „Erst im Jahr 1831 wurde der Kodex in der Sakristei der Kathedrale von Rossano entdeckt, und nach und nach wurde man sich seiner Bedeutung bewusst“, erklärt Perri. Rossano galt von 540 bis zur Ankunft der Normannen im Jahr 1059 als die byzantinischste Stadt Italiens, es war das Ravenna des Südens, eine Stadt der Spiritualität. Immerhin brachte Rossano vier Päpste hervor.

„Ich verkörpere die Zauberin Abram, eine weise Frau, die in Kalabrien lebte, zu jener Zeit, als hier auch die Philosophen Tommaso Campanella und Bernadino Telesio wirkten.“ Mit eindringlich beschwörender Stimme stellt sich Alma Gaia vor. Sie führt im dunkelgrünen Kostüm als Magierin Abram durch Kalabrien, auf den Spuren von Philosophen und Literaten. Gaia ist auch die Gründerin des Literaturparks Tommaso Campanella. Campanella verfasste das utopische Traktat „Sonnenstadt“, in welchem er den wirtschaftlichen und politischen Aufbau eines idealen Gemeinwesens entwarf. „Bereits im 16. Jahrhundert forderte Campanella eine Gewaltenteilung zwischen Staat und Kirche, Europa musste jedoch noch auf Montesquieu warten, um dieses Prinzip zu verinnerlichen“, erklärt die kreative Kulturvermittlerin, und sie deklamiert vor den in ihren Bann geschlagenen Zuhörern kalabrische Philosophie: „Der Wahnsinn ist das einzige Mittel, das Leben auszuhalten, und ich nehme euch jetzt mit auf eine Reise jenseits von Zeit und Raum!“ Dann hebt sie ihre Hand und verstreut glitzernden Zauberstaub: „Willkommen im Land des großen Friedrich von Hohenstaufen!“

Olivenöl für den Papst

Zur Stärkung bringt uns Gaia in die Locanda del Parco, einen Agriturismo im Nationalpark des Pollino. „Wir liefern unser Olivenöl in den Vatikan, der Papst isst unser Öl!“, berichtet die Besitzerin Adriana Tamburi mit stolzgeschwellter Brust. Und dann lässt sie auftischen, alles bio, alles aus eigenem Anbau. Zucchinistreifen mit Minze, feine Röllchen aus Faschiertem, Schinken, Würste, Käse, Melanzani. Dann die Pasta, Strozzapreti, hausgemacht, viel Fleisch, dunkelrote Maulbeeren und ein Dolce della nonna, in Milch getauchte Brotscheiben, die mit Butter, Ei, Zucker und Erdbeeren zu einem Nachtisch verarbeitet wurden. Beim Essen erzählt Gaia, dass sie ihren für Kalabrien eher ungewöhnlichen Vornamen der Musikleidenschaft ihres Vaters verdankt. „Mein Vater ist Pianist, er hat das Gesamtwerk von Eric Satie aufgenommen, und er verehrt Gustav Mahler. Ich bin nach Alma Schindler, Gustav Mahlers Ehefrau, getauft worden.“ Sie hat in London gelebt und studiert, neben der Schauspielausbildung ein Doktorat in Kunstsoziologie gemacht. Jetzt tritt sie in Theaterproduktionen auf, und eben auch als Zauberin Abram in den von ihr entworfenen literarisch-philosophischen Touren durch Kalabrien: „Ich liebe dieses Land, ich will seine Stärke und Schönheit weitergeben.“

Vom Nationalpark des Pollino, wo in der 700 Meter tiefen Schlucht des Raganello der Königsadler nistet, geht es weiter in den Sila-Nationalpark. „Der große Wald Italiens“ wurde er genannt, oder auch „die italienische Schweiz“, mit den drei großen Seen, die zur Energiegewinnung angelegt wurden und jetzt auch mit Booten befahren werden. Doch bevor das Boot zur Seerundfahrt über den Lago Cecita ablegt, übergibt Gaia ihren Zauberstab an Antonello Martino. Seine Expertise ist die Natur.

Großer, dichter Wald

„Der Name Sila geht auf die Römer zurück, auf das lateinische Wort silva für Wald“, sagt Martino, „dieser Wald wächst auf kristallinischem Granit.“ Zu Fuß, auf Mountainbike und Pferd oder mit Alpin- und Langlaufski sind die Sila-Besucher unterwegs. Viele kommen zum Birdwatching. Der Duft von wildem Thymian liegt in der Luft. „Es handelt sich hier um eine hochgelegene Macchia mediterranea“, erklärt Martino mit leuchtenden Augen. Der Waldführer ist sichtlich begeistert von seinem Sila-Nationalpark. Er kennt fast alle 600 Kilometer Wanderwege, die das Gebiet durchziehen. Er macht auf eigenartig verwachsene, Hunderte Jahre alte Baumwunder aufmerksam und regt an, die Stämme zu berühren, je nach Belieben auch gleich zu umarmen. Die Besucherbetreuung im Sila ist vorbildlich, hier wird das ökologische Gleichgewicht geehrt und gelehrt. Für viele stadtgewöhnte Italiener sind das ganz neue Erkenntnisse.

Dumas' abenteuerliche Reisen

„Alexandre Dumas, der Autor von ,Die drei Musketiere‘ und ,Der Graf von Monte Christo‘, ist einer der ersten literarischen Chronisten Kalabriens“, fährt Alma Gaia fort, ihre Zuhörer zu bilden. „Dumas erfreute sich zwar sehr guter Einnahmen durch seine Bücher, doch er lebte auch auf großem Fuß in Paris, und so unternahm er mehrere abenteuerliche Reisen nach Süditalien, die er in höchst erfolgreichen ironisch-heiteren Reisereportagen verwertete. Dieses Genre war ein Verkaufsschlager, vor allem, wenn die Reportagen aus der Feder eines so bekannten Schriftstellers stammten.“ Dumas gelangte im Herbst 1835 nach Kalabrien, in Begleitung eines Malers und des Hundes Mylord. Auf einem Maultier legte er weite Strecken zurück, und er notierte magische und fantastische Geschichten, die ihm auf der Reise zugetragen wurden. „Besonders angetan zeigte sich Dumas von den Briganten, welche er als romantische Robin Hoods darstellte, wohl auch, weil er selbst keinem Raubüberfall ausgesetzt war“, vermutet Alma Gaia alias Magierin Abram.

SÜDITALIEN KOMPAKT

Anschauen: „Codex Purpureus Rossanensis“ (Museum des „Kodex Rossano“), Via Arcivescovado, 5, Rossano, www.museocodexrossano.it

Einkehren: La Locanda del Parco di Adriana Tamburi, www.lalocandadel-parco.it, C. Da Mazzicanino, 12, Morano Calabro, info@lalocandadelparco.it

Natur erleben: Geführte Touren im Nationalpark Pollino: www.parcopollino.it, sowie im Nationalpark Sila: www.parcosila.it

Trekking, Kanu, Kajak, Ski: bei Antonello Martino, www.camminasila.com

Hinweis: Diese Reise erfolgte auf Einladung der Camera di Commercio Cosenza.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2019)

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