Südtirol: Drei Zinnen für Anfänger

Vor 150 Jahren standen die ersten auf der Großen Zinne. Bewundernd sitzt man vor der Dreizinnenhütte.
Vor 150 Jahren standen die ersten auf der Großen Zinne. Bewundernd sitzt man vor der Dreizinnenhütte.Imago
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Sie sind wie Berühmtheiten. Jeder weiß, wie sie aussehen, aber kaum jemand kennt sie persönlich. Die wohl markantesten Dolomitentürme, die Drei Zinnen, feiern 150 Jahre Erstbesteigung. Höchste Zeit für eine Begegnung.

Wenn eine ganze Region sich nach einem Berg benennt, muss das ein besonderer sein. Im Nordosten Südtirols sind es gleich drei, die die weitere Umgebung dominieren, Hotels, Lokalen, Ess- und Trinkbarem ihren Namen geben. Aktuell stehen sie auch noch im Mittelpunkt vieler Jubiläumsfeiern. Dabei sind die Drei Zinnen ziemlich schüchtern: Rund um Sexten, Innichen und Toblach gibt es talseitig nur einen Punkt, von wo man sie aus größerer Distanz erblicken kann. Das ist im Höhlensteintal auf halbem Weg zwischen Toblach und Cortina d'Ampezzo bei einem Gasthaus, das den passenden Namen Drei-Zinnen-Blick trägt.

Wer sie wirklich erleben will, der muss sich schon zu Fuß auf den Weg machen. Das sind heuer mehr Menschen als gewöhnlich, denn die Erstbesteigung der 2999 Meter hohen Großen Zinne jährt sich zum 150. Mal. Ausstellungen, ein neuer Dokumentarfilm, Festreden sind aber nur ein schwacher Ersatz fürs leibhaftige Annähern an die steinerne Berühmtheit. Als der Wiener Alpinist Paul Grohmann mit seinen Pionierambitionen 1869 die Gegend um Sexten unsicher gemacht und wenige Wochen zuvor noch die 3152 Meter hohe Dreischusterspitze erklommen hatte, kam er zu Fuß durch das Fischleintal über Bad Moos. Am 21. August 1869 war es soweit, dass Grohmann zusammen mit Peter Salcher aus Maria Luggau und dem einheimischen Führer Peter Innerkofler nach weniger als drei Stunden Klettern auf dem Gipfel stand. Heute heißt die Route schlicht und fast untertreibend Normalweg.

Das Gros der Besucher chauffiert heute von der Südseite über den Misurinasee, eine sündteure Mautstraße, zur Auronzohütte auf 2320 Metern und erreicht die Dreizinnenhütte, den besten aller Aussichtspunkte, mit einem Spaziergang über die Geröllfelder. Das hat dann eher den Charakter einer Kaffeefahrt ins Gebirge. Ernsthafte alpine Annäherung bieten zwei direkte Alternativen. Da drängt sich eine Route durchs Fischleintal auf mit der Option über das Büllelejoch und die Zsigmondyhütte eine Rundtour anzuhängen, oder die weniger bekannte Variante vom Höhlensteintal ostwärts entlang des Bachlaufs der Rienz. Eine recht aufwendige dritte Variante wäre der Weg vom Innerfeldtal über den Toblinger Knoten. „Wer die Drei Zinnen das erste Mal besucht, sollte die Strecke durch das Fischleintal nehmen, die ist kürzer und schöner“, empfiehlt Hugo Reider, der es wissen muss als altgedienter Wirt der Dreizinnenhütte. Und so machen wir es auch. In der Früh sitzen wir in der Stube im Hotel Bad Moos, versorgen uns mit Tipps von Christian Tschurtschenthaler vom Drei-Zinnen-Konsortium. „Nehmt's unbedingt Stecken mit und schaut's aufs Wetter. Am Nachmittag is Gewitter angesagt.“

Gipfel verstecken sich

Mit dem Bus gehts zum Hotel Dolomitenhof, Stammsitz der Bergführerfamilie Innerkofler, wo auch die öffentliche Straße endet. Vor uns liegen rund drei Stunden Aufstieg, knapp 1000 Höhenmeter. Die erste halbe Stunde Fußweg durch den Lärchenwald mit bunten Blumenwiesen bis zur Talschlusshütte ist noch gemütlich flach. Aber vor uns bauen sich schon steile Felswände auf, die uns lang begleiten werden. Ein letzter Cappuccino bei der Talschlusshütte, dann zieht sich der Weg geradeaus westwärts und wird nach einer Gabelung (links hinauf ginge es zur Zsigmondyhütte) spürbar steiler. Grobe Felsbrocken und Geröll verlangen Konzentration. Der Einserkofel wirft einen langen Schatten auf das schmale Tal. Von den Drei Zinnen ist nichts zu sehen, und das soll noch länger so bleiben.

Am westlichen Rand des Einserkofels windet sich der Weg in vielen Serpentinen, wird steiler, felsiger. Drei Zinnen? Noch immer nichts! Nur das weitläufige Massiv der Dreischusterspitze steht rechts von uns in der Vormittagssonne. Dafür, dass wir auf einer berühmten Route zu einem noch berühmteren Ziel unterwegs sind, ist der Verkehr maßvoll. Das Publikum unterwegs wirkt ziemlich „normal“. Leute, die nach sportlichem Klettern, nach Drei-Zinnen-Nordwand ausschauen könnten, begegnen uns gar nicht. Warum das so ist, erfahren wir später.

An einem Bachlauf gönnen wir uns eine Trinkpause, machen ein paar Dehnübungen. Wir gehen relativ langsam, schließlich wissen wir nicht, was uns noch erwartet. Da wir in einem engen Taleinschnitt unterwegs sind, ist der Ausblick auf den Verlauf begrenzt. Nach zwei Stunden ist die Baumgrenze erreicht, links fällt der Hang steil ab, weiter oben zeigen sich über einer Graskuppe zwei Felsspitzen. Sind sie das endlich?

Riesenandrang auf der Hütte

Die Antwort folgt zehn Minuten später, als der Weg nach links dreht: Ein paar Hundert Meter vor uns steht quer die Dreizinnenhütte weiß leuchtend, unten spiegelt sich die Sonne in zwei kleinen Bergseen, und alles überragen die drei Felskolosse. Links die zerfurchte Kleine Zinne, daneben die mächtige Große Zinne, rechts die Westliche Zinne, nicht ganz so stattlich, aber nur 26 Meter niedriger. Von der Südseite, wo auch der Normalweg der Erstbesteiger verläuft, sind sie unspektakulärer – deshalb wollen auch alle zur Dreizinnenhütte, um die sich ein breiter Gürtel aus Tischen und Bänken schart, die alle gut besetzt sind.

Schon 1881 wurde die Hütte erbaut, im Ersten Weltkrieg zerstört und 1935 neu errichtet. Heute gehört sie der Sektion Padova des italienischen Alpenvereins CAI und dürfte nicht nur die am spektakulärsten gelegene, sondern auch meistbesuchte Hütte in den italienischen Alpen sein. Hugo Reider ist seit 20 Jahren Betreiber, ein Hüttenwirt wie aus dem Bilderbuch, klein, kräftig, mit lockiger Mähne und Vollbart. Er macht einen gelassenen Eindruck, was er braucht angesichts der bis zu 1000 Besucher täglich. Die meisten gehen den bequemen, kurzen Weg von der Auronzohütte, was die leichte Kleidung und das urbane Schuhwerk erklärt, ein Publikum aus Europa, Amerika, China, Indien. „Viele Leute haben gar keine Vorstellung davon, was sie hier oben erwartet und dass vieles anders ist als im Tal“, sagt Reider. Das sorgt manchmal für Missverständnisse, was die Komfortansprüche angeht – vor allem, wenn Logisgäste täglich duschen wollen. Wasser ist Mangelware. Geduscht wird möglichst wenig und gegen extra Bezahlung. Heute sei vieles anders. Die Kletterer kämen heute kaum noch her, sagt Reider. „Die haben es alle eilig, fahren bis zur Auronzohütte, schlafen im Zelt und verschwinden nach der Tour wieder.“ Früher, also Jahrzehnte früher, sind sie wochenlang geblieben, haben die Gegend ausgekundschaftet und Routen gesucht. Von Bayern sind sie mit dem Rad gekommen, die Österreicher mit der Südbahn bis Innichen oder Toblach.

Nach einer Portion Apfelstrudel wird der Rucksack wieder gepackt, bauen sich im Westen erste Wolken auf. Am spektakulärsten, erzählt ein erfahrener Drei-Zinnen-Besucher, sind die Sommernächte mit Gewitter, wenn die Blitze in den Zinnen einschlagen. Darauf wollen wir nicht warten und marschieren zurück. Bergab geht es kaum schneller als bergauf, weil der felsige Weg behutsame Schritte verlangt. Das nächste Mal übernachten wir aber oben. Die Sonnenauf- und -untergänge dürften es allein wert sein. Drei Zinnen für Fortgeschrittene.

BERG UND BAD

Schlafen: Hotel Bad Moos, Spa Resort, am Eingang des Fischleintals, guter Aus- gangspunkt für Touren, www.badmoos.it

Anschauen: div. Veranstaltungen wie z. B. Bergfilmfestival u. Dolomites Unesco Forum Sexten; www.drei-zinnen.info

Einkehren: www.dreizinnenhuette.com

Hinweis: Die Reise wurde unterstützt von Bad Moos Dolomites Spa Resort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2019)

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