Frei ist nur der Markt

Der Psychologe Rainer Mausfeld beschreibt in „Angst und Macht“, wie sehr die „Markttheologie“ des Kapitalismus auf die Produktion von Angst angewiesen ist.

Wenn der deutsche Juso Kevin Kühnert laut darüber nachdenkt, BMW zu enteignen, dann stellt er die Systemfrage. Etwas, was die Sozialdemokratie lange nicht mehr getan hat. Sie hat sich – ganz im Gegenteil – dem System an-, man könnte sagen eingepasst, und ist darob fett, faul und satt geworden. Das meinte wohl Christian Kern, als er bei seiner Antrittsrede als Kanzler am 17. Mai 2016 vom „Schauspiel der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“ sprach. Dass er es dann nicht geschafft hat, seiner Diagnose eine Therapie folgen zu lassen, lässt Rückschlüsse auf das Beharrungsvermögen des inzwischen elend langen Güterzugs Sozialdemokratie zu. Auch viele Intellektuelle, die lange Streckenwärter gespielt haben, sind offenbar mit 53 in Rente gegangen und haben den Schienenweg zur klassenlosen Gesellschaft den Parteisoldaten überlassen. Dass Kühnert die Systemfrage nun wieder auf den Fahrplan bringt, kommt daher vielen Genossen, aus denen Pfründner des Systems geworden sind, ungelegen. Bei ihnen liegt „Das Kapital“ längst nicht mehr auf dem Nachtkästchen, sondern auf irgendeiner Bank. Geschrumpft ist nur das intellektuelle Kapital und damit die Motivation, das System marxistisch zu analysieren.

Kapitalismus und Demokratie . . .

Einer, der das System von links außen aufrollt, ist der Kieler Kognitionsforscher Rainer Mausfeld. „Angst und Macht“ heißt sein schmales, aber weitreichendes Büchlein, das auf jeder Werkbank sozialdemokratischer Funktionäre liegen sollte. Mausfeld stellt darin die Systemfrage, ob Kapitalismus und Demokratie überhaupt kompatibel seien. Blickt man in den Westen, von den USA bis Deutschland, könnte man meinen, die Frage wäre längst positiv beantwortet. Für Jan Buruma etwa sind „freiheitliche Demokratie und Kapitalismus untrennbar miteinander verbunden“ (siehe „Die Presse“, 8. Juli 2019). Danach sah es nach dem Zweiten Weltkrieg auch aus. Bis in die 1970er-Jahre konnte man den Eindruck haben, dass die „freie Wirtschaft“ demokratisch eingehegt, sprich: reglementiert, werden könne. Die Ölkrisen verschafften dann aber den „Chicago Boys“ Aufwind, jenen Ökonomen, die das „freie Spiel der Kräfte“ propagierten, also: Deregulierung, Privatisierung und Globalisierung. Ihr Konzept hat seitdem seinen Siegeszug um die Welt angetreten.

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