Hilary Swank: „Ich glaube es bis heute nicht“

Erzählt als Schauspielerin und mittlerweile auch als Filmproduzentin am liebsten Geschichten über Außenseiter: Hilary Swank.
Erzählt als Schauspielerin und mittlerweile auch als Filmproduzentin am liebsten Geschichten über Außenseiter: Hilary Swank.(c) REUTERS (Lucas Jackson)
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Die zweifache Oscar-Preisträgerin Hilary Swank spricht über ihre ersten Jahre als Schauspielerin, die Bedeutung von Disziplin im Beruf und über den Film, der nicht nur ihre Karriere, sondern ihr ganzes Leben verändert habe.

Der Leopard Club Award, der vor wenigen Tagen beim Filmfestival in Locarno verliehen wurde, geht nicht selten an Schauspieler, die bereits eine jahrzehntelange Karriere hinter sich haben. In diesem Jahr allerdings wurde die erst 45-jährige Hilary Swank ausgezeichnet. Wobei die Amerikanerin beruflich schon einiges erlebt hat.

In den 1990er-Jahren ging es los mit Rollen in „Karate Kid IV – Die nächste Generation“ und TV-Serien wie „Unser lautes Heim“, bevor ihr 1999 mit dem Transgender-Drama „Boys Don't Cry“ der Wechsel ins ernste Fach gelang, Oscar inklusive. Nur fünf Jahre später folgte für den Box-Film „Million Dollar Baby“ der zweite Oscar, gefolgt von Filmen wie „Freedom Writer“, „P.S. Ich liebe dich“ und „Happy New Year“.

Seit Freitag ist Swank mit dem Science-Fiction-Film „I Am Mother“ im Kino zu sehen. Darüber wollte sie in Locarno aber ebenso wenig sprechen wie über den umstrittenen Film „The Hunt“, der in den USA im September anlaufen sollte, sich aber wegen seiner Menschenjagd-Thematik nach den jüngsten Amokläufen vorerst in der Warteschleife befindet. Und so geriet das Gespräch eher zu einer Art Rückblick auf bisher Erreichtes.

Ihr Durchbruch als Schauspielerin kam nicht von heute auf morgen. Würden Sie über manche Fernsehrolle, die Sie in den 1990er-Jahren spielten, heute gerne das Mäntelchen des Schweigens decken?

Hilary Swank: Ach, für mich waren diese ersten neun Jahre meiner Karriere einfach eine tolle Lernerfahrung. All diese TV-Arbeiten gaben mir das Rüstzeug für die großartigen Gelegenheiten, die sich dann später boten. Man sagt doch oft: Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft. In meinem Arbeitsleben waren diese Fernsehrollen meine Vorbereitung.

1997 übernahmen Sie eine Hauptrolle in der achten Staffel der Serie „Beverly Hills, 90210“, doch nach 16 Folgen wurden Sie gefeuert. Im Rückblick ein Segen, oder?

Na ja, damals hätte ich nichts dagegen gehabt, noch eine weitere Staffel dabei zu sein. (lacht) Aber Spaß beiseite: Das war natürlich ein riesiger Segen. Und mir bis heute eine Lehre, dass man von jedem Rückschlag etwas lernen kann und er sich womöglich sogar in etwas Positives verwandeln kann. Wie gesagt, ich war nicht happy darüber, dass man mich rausschrieb aus der Serie. Zumal sie zu dem Zeitpunkt ja nicht einmal mehr ein großer Hit war. Ich dachte damals: Wenn ich nicht einmal gut genug bin für eine Serie, die kaum jemand sieht, dann habe ich wohl in diesem Job nichts verloren. Aber dann habe ich mich natürlich zusammengerissen – und ein paar Monate später sprach ich für eine Rolle vor, die nicht nur meine Karriere, sondern mein ganzes Leben verändern sollte.

Das war damals der Film „Boys Don't Cry“, in dem Sie – basierend auf einem wahren Fall – einen jungen Mann namens Brandon Teena spielten, der einst als Mädchen zur Welt gekommen war und aufgrund seiner Transsexualität vergewaltigt und ermordet wurde. Was bedeutet er Ihnen heute?

Bis heute sprechen mich Menschen auf den Film an und bedanken sich bei mir. Nicht mehr so häufig wie früher, aber doch immer mal wieder erzählt mir jemand, dass „Boys Don't Cry“ sein oder ihr Leben gerettet habe. Das bedeutet mir unglaublich viel. Ich hätte mir nie erträumt, als Schauspielerin einmal in der Lage zu sein, Menschen auf eine derart tiefgehende Weise zu berühren. Man hofft es vielleicht, aber zu erleben, dass das wirklich passiert, ist einzigartig.

War Ihnen auf Anhieb klar, wie wegweisend die Thematik des Films 1999 noch war?

Damals wurde über Transmenschen kaum gesprochen. Vergleicht man es mit der heutigen Gesellschaft, muss man ja sagen, dass es damals noch nicht einmal das ausreichende und korrekte Vokabular gegeben hat, um angemessen die Thematik zu erfassen. Damals war alles noch streng unterteilt in hetero und homo, mehr gab es nicht. Die schwul-lesbische Szene wollte mit der Trans-Community nicht wirklich etwas zu tun haben, von Inklusion war keine Rede. All das hat sich zum Glück geändert, auch wenn natürlich immer noch ein weiter Weg vor uns liegt.

Und Sie haben mit „Boys Don't Cry“ zu diesen Veränderungen mit beigetragen?

Der Film stand jedenfalls am Anfang einer dringend nötigen Konversation. Gerade aus der Trans-Community haben sich häufig Menschen dafür bedankt, dass ich diese Rolle gespielt habe, auch weil ich eine heterosexuelle Frau bin. Denn sie meinten, dass der Film anderenfalls mit Sicherheit nicht von so vielen unterschiedlichen Menschen gesehen und akzeptiert worden wäre. So wurde Brandon Teenas Geschichte zu einer, die jenseits von Geschlecht und Gender etwas über das Lieben und Geliebt-werden erzählte.

Rollen zu spielen, die komplexer, stärker und fern von typisch weiblichen Klischees sind, wurde anschließend ein wenig zu Ihrem Markenzeichen.

Irgendwie habe ich, gar nicht unbedingt bewusst, sehr früh beschlossen, dass ich keine Rollen spielen möchte, die mich als Frau objektivieren. Nur gut aussehen zu müssen oder das Anhängsel am Arm eines Mannes zu spielen, das war mir einfach zu langweilig.

Nur fünf Jahre nach dem Oscar für „Boys Don't Cry“ gewannen Sie für „Million Dollar Baby“ noch einen. Welcher Moment war der aufregendere?

Ich kann es bis heute oft nicht glauben, dass ich zwei Oscars habe. Nicht, dass es darum ginge, das eigentliche Geschenk ist natürlich, solche Rollen spielen und Menschen damit erreichen zu dürfen. Aber es ist schon ein sehr verrücktes Gefühl gewesen, beide Male, zwischen all diesen außergewöhnlichen Menschen. Als würde ich da eigentlich nicht hingehören.

Ist die Erkenntnis im Rückblick heute: Talent setzt sich durch?

Insgesamt würde ich behaupten, dass nicht nur in diesem Beruf, sondern ganz allgemein für uns Menschen Disziplin superwichtig ist, wenn man etwas erreichen will. Sei diszipliniert, wachsam, hartnäckig und unvoreingenommen, das ist der Schlüssel zu allem. Gelernt hatte ich das als Schülerin, durch den Sport, denn damals drehte sich alles ums Schwimmen und Turnen. Mein Trainer sagte immer: „ich kann's nicht“ heißt „ich mach's nicht“, und „ich mach's nicht“ heißt Liegestütze. (lacht) Damals habe ich sehr schnell gelernt, die Wörtchen „kann nicht“ aus meinem Vokabular zu streichen. Dabei fand ich Liegestütze noch nicht einmal so schlimm.

Sie selbst stecken Ihre Disziplin inzwischen auch verstärkt ins Produzieren. Welche Art von Geschichten wollen Sie erzählen?

So oft, wie ich das gefragt werde, sollte ich eigentlich eine gute, pauschale Antwort parat haben, doch das ist leider nicht so. Aktuell bin ich zum Beispiel mit der Entwicklung einiger alberner Komödien befasst. Aber gleichzeitig möchte ich auch die Geschichte eines syrischen Flüchtlings auf die Leinwand bringen, eine unvergleichliche und wahre Geschichte über Vergebung und Beharrlichkeit. Ich suche immerzu und an allen Orten nach Menschen, die mich mit ihren Geschichten inspirieren. Da gibt es nicht immer unbedingt einen gemeinsamen Nenner.

Hat der Kontext der Präsidentschaft von Donald Trump einen Einfluss auf die Auswahl Ihrer Projekte?

Nein, mein Interesse, bestimmte Geschichten zu erzählen, hängt nicht davon ab, wer im Weißen Haus sitzt. Die Rollenauswahl, die ich bislang getroffen habe, ist eng mit meiner Persönlichkeit verknüpft, und daran wird sich auch nichts ändern. Geschichten über Außenseiter und Underdogs werden weiterhin das sein, was mich am meisten interessiert, genauso wie das Einstehen für Menschenrechte.

Steckbrief

1974 wurde Hilary Swank in Lincoln, Nebraska, geboren.

1999 gelang ihr der internationale Durchbruch als Schauspielerin mit dem Drama „Boys Don't Cry“, der ihr sensationell einen Oscar als Beste Hauptdarstellerin einbrachte.

2005 bekam sie für ihre Hauptrolle in „Million Dollar Baby“ von Regisseur Clint Eastwood ihren zweiten Oscar in dieser Kategorie. Es folgten viel beachtete Filme wie „P.S. Ich liebe Dich“, „Happy New Year“ und „Logan Lucky“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2019)

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