Im Kino: „Paranza“- Aber es sind doch noch Kinder!

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In „Paranza“ nach einem Buch von Roberto Saviano übernehmen Nachwuchsmafiosi die Macht im Viertel. Im Gegensatz zu „Gomorrha“ spielt dieser Film in einem pittoresken Neapel und konzentriert sich ganz auf eine Gruppe 15-Jähriger.

Wir erinnern uns noch an „Gomorrha“. Was für ein düsterer und dabei erhellender Film! Und was für trostlose Geschichten hat uns Regisseur Matteo Garrone da erzählt – am trostlosesten wohl die von zwei Teenagern, die ihr eigenes Ding machen wollen, sich mit den Drogenbossen anlegen und dabei gnadenlos scheitern. Sie scheitern, weil sie nicht schlau genug sind. Weil sie zu dreist sind. Weil sie sich selbst überschätzen. Weil sie sich wie alle Teenager für unsterblich halten und glauben, Regeln gelten nur für die anderen.

Wenn man mit der Mafia zu tun hat, ist das tödlich, das weiß auch der Zuschauer. Wie bei einer antiken Tragödie muss er miterleben, wie das Unheil seinen Lauf nimmt.

„Paranza“, das wie „Gomorrha“ auf einem Buch des italienischen Journalisten und Schriftstellers Roberto Saviano beruht, nimmt das Motiv der Mafia-Teens wieder auf und vertieft es: Sechs junge Burschen sind es hier, etwa 15 Jahre alt. Wir lernen sie kennen, als sie sich für eine Party zurechtmachen. Da drängeln sie vor dem Spiegel, schubsen einander beiseite, das Leiberl wird noch rasch zurechtgezupft, letzte Hand an die Frisur gelegt. Stimmt der Scheitel? Wirklich? Passt die Jacke? Die Stimmung ist ausgelassen, der Übermut groß.

Die Gedemütigten tun sich zusammen

Sie wollen diesen Freitagabend genießen. Doch das wird nicht so einfach sein, es ist nie so einfach: Als Nicola seine Mutter um Geld fürs Fortgehen bitten will, wird er Zeuge, wie sie die geringen Einnahmen der kleinen Wäscherei einem Schutzgeld-Eintreiber übergeben muss. Und in die Disco? Kommt er nicht hinein. Dabei tanzt dort drinnen ein Mädchen, das er gerade erst kennengelernt hat und unbedingt wiedersehen will! Die sechs fangen eine Rangelei mit dem Türsteher an, doch der weiß sich zu wehren und triumphiert: 500 Euro. Wenn sie 500 Euro für einen Tisch zahlen, dürfen sie hinein.

Was tröstet die gedemütigten jungen Männer? Burger, Pommes und Cola. Wie es der Teufel will, landen sie in einem Fastfood-Schuppen, der auch von jenen Mafiosi besucht wird, die einst im Viertel die großen Herren waren. Und jetzt nichts mehr zu sagen haben. Die Gedemütigten tun sich zusammen. . .

Während „Gomorrha“ uns in Satelliten-Städte und Vororte geführt hat, wo diejenigen, die keine Hoffnung haben, in bröckelnden Betonbunkern leben, spielt Claudio Giovannesis „Paranza – Der Clan der Kinder“ in der neapolitanischen Innenstadt. Hier sind pittoresk die Wäscheleinen über die engen Gassen gespannt, hier findet man kleine Standler, die Obst oder Muscheln verkaufen, und die Oma schaut aus dem Fenster. Neapel, fast wie aus dem Reiseführer. Und wo „Gomorrha“ – ob im Film oder im Buch – streckenweise fast den Charakter einer Dokumentation hatte, mafiöse Strukturen aufdeckte und politische Verquickungen nachzeichnete, konzentriert sich dieser Film auf eine kleine Gruppe Jugendlicher, ihre Gier nach Geld, nach Leben und nach Liebe. Ihre Skrupellosigkeit. Ihre Dummheit auch. Wie soll das bitte gut gehen, ein paar 15-Jährige gegen den Rest der Welt?

Nicola (Francesco Di Napoli) ist der Anführer der Truppe, der gescheiteste von ihnen, der hübscheste, und er hat fast ritterliche Züge: Den Händlern im Viertel will er das Schutzgeld erlassen. Und vom ersten erbeuteten Geld kauft er der Mama eine neue Schlafzimmereinrichtung. Ein bisschen süßlich ist das schon, genauso wie die Erklärung, warum der eigentlich ganz nette Bub zum Mafioso wird – weil er ein Mädchen beeindrucken und seiner Mama helfen will.

Dafür wird die Liebesgeschichte zwischen Nicola und Letizia beeindruckend nüchtern erzählt. Liebt er sie? Liebt sie ihn? Oder gefällt ihr vor allem, dass er sich irgendwann nicht nur einen Tisch in der Disco leisten kann, sondern auch Champagner flaschenweise?

Da sind sie schon keine Freunde mehr, die auf Achse gehen, sondern Erpresser, Drogendealer, zum Teil Mörder. Dass diese Wandlung glaubwürdig wirkt, dass die ganze Geschichte glaubwürdig wirkt, liegt an den Akteuren. Es sind Laiendarsteller, denen Regisseur Claudio Giovannesi ihren breiten Dialekt, ihre Mimik und ihr Bewegungen gelassen hat. Man nimmt ihnen die Freude ab, wenn sie mit dem neuen Roller durch die Gassen von Neapel flitzen. Die Angst, wenn ein Plan gescheitert ist. Man kommt ihnen nahe, weil Giovannesi zeigt, dass sie unsicher sind und getrieben. Vom anfänglichen Übermut ist bald nicht mehr viel da.

Aber im Gegensatz zu „Gomorrha“ bleibt dem Zuschauer bis zuletzt zumindest ein kleines bisschen Hoffnung.

ZUR PERSON

Roberto Saviano, italienischer Journalist und Schriftsteller, hat sich mit seinem penibel recherchierten und später verfilmten Buch „Gomorrha“ mit der Mafia angelegt: Seit er die Namen der Anführer publik machte, lebt er versteckt an wechselnden Orten. Sein Roman „Der Clan der Kinder“ (La paranza dei bambini) erschien 2016 auf Italienisch, 2018 auf Deutsch, die Verfilmung kommt am Freitag in die Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2019)

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