„Love Rituals“: Liebesgebete und Penis-Lollis

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In der Arte-Reihe „Love Rituals“ spürt Charlotte Roche kulturspezifischen Liebesritualen nach – und zeigt sich dabei erstaunlich prüde: „Ich gehe nie in die Sauna.“

Charlotte Roche ist wieder auf der Suche nach dem Tabubruch. Die Autorin, die mit ihrem Erstlingsroman „Feuchtgebiete“ die Grenzen von Ekel und Scham auslotete und in einem Podcast auf Spotify („Paardialoge“) einmal pro Woche mit ihrem Ehemann freizügig und öffentlich über Liebe, Sex und ihre Ehe redet, hat sechs Reportagen für Arte gestaltet. Für die Reihe „Love Rituals“ bereiste sie sechs verschiedene Länder, um sich nach Liebesleben, Sexgelüsten und Balzverhalten der Menschen zu erkundigen – darunter Israel, Kenia und Indien (Bild). Von den expliziten Darstellungen der Shunga inspiriert, ist ihr erstes Reiseziel aber Japan. Schon im Flieger frohlockt Roche: „Man denkt, man fährt in das sexuell freigeistigste Land der Welt.“ Falsch gedacht! Während junge Japanerinnen verschämt kichern, wenn sie nach ihrem Freund gefragt werden, stellt der Publizist Kyoichi Tsuzuki, der Roche begleitet, fest, dass sich die junge Generation immer mehr in „Gemüsejungs“ und „Meaty Girls“ spaltet: In Burschen, die keine Lust mehr auf Sex haben, und liebeshungrige Mädchen. Öffentliche Zärtlichkeiten sind tabu.

Traditionell 48 Liebesstellungen

Während die Bildchen, die zu den Geisha-Glückskeksen gepackt sind, die traditionell 48 Liebesstellungen der Japaner zeigen, geben sich die Jungs immer öfter mit einer digitalen Affäre zufrieden: Die „Hologramm-Fee“, wie Roche sie nennt, flötet ihrem Besitzer fröhlich „Guten Morgen!“ zu und erinnert ihn daran, einen Regenschirm einzupacken, wenn Gewitterwolken aufziehen. Auch unterwegs kann man mit dieser künstlichen Intelligenz Nachrichten am Mobiltelefon austauschen, als würde eine echte Frau daheim auf einen warten. „Japanische Männer haben es nicht leicht“, erklärt Tsuzuki: „Europäer glauben, Japanerinnen wären so wie diese Hologrammfrau. Ich kenne keine.“

Eine Geisha könnte einem einfallen. Auch ihr stattet Roche einen Besuch ab. „Mich schüchtert das ein“, sagt sie: „Alles geht so förmlich zu und ist so streng geregelt.“ Der Kulturschock ereilt sie dann woanders: Beim Kanamara-Matsuri, dem shintoistischen „Fest des stählernen Penis“, wird der Phallus im Tempel und auf der Straße verehrt. Ein Transvestitenklub trägt ein riesiges rosa Exemplar durch die Straßen, Mädchen schlecken an Penis-Lollis, der Priester überrascht mit sexueller Weltoffenheit. In christlichen Ländern wäre das undenkbar.

Die erste Ausgabe von „Love Rituals“ (28. August, 21.35 Uhr, auf Arte) zeigt einen vergnüglichen und interessanten Streifzug durch das Land und rückt sonst oft verschwiegene Facetten der japanischen Kultur in den Mittelpunkt. Und Roche? Die errötet, wenn ihr Männer erzählen, wie sie für ihre sexuelle Gesundheit beten. Sie plaudert auch wieder Persönliches aus. Was Tsuzuki denn an den Deutschen verwundert? Dass Männer und Frauen gemeinsam in der Sauna sitzen – ohne Handtuch oder Badehose, sag er. „Ich gehe nie in die Sauna“, zeigt sich Roche daraufhin erstaunlich prüde, „weil ich mich sehr unwohl fühle, wenn andere mich nackt sehen.“ Das ist wohl doch etwas anderes als verbaler Exhibitionismus . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2019)

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