Brexit, Handelskriege, Protektionismus: Alles halb so schlimm? Viele meinen, falsche Politik könne den Errungenschaften der Globalisierung wenig anhaben. Aber das ist eine Illusion.
Wie gerne wiegen wir uns in Sicherheit – umso lieber, wenn uns blauer Himmel, saftig grüne Almen und blumengeschmückte Balkone umgeben. Das ist nichts Neues. 1910 verkündete der britische Publizist Norman Angell in „Die große Illusion“: Die starke wirtschaftliche Verflechtung und internationale Arbeitsteilung haben einen Krieg in Europa undenkbar gemacht. Er lohnt sich nicht mehr: Sogar dem militärischen Sieger fügt er einen gewaltigen Schaden zu, niemand erzielt aus ihm Gewinn. Und weil wir Menschen doch vernunftbegabte Wesen sind, weil wir uns nicht von irrationalen Gefühlen leiten lassen, schmieden wir nicht mehr Waffen, sondern Verträge, suchen nicht mehr den Konflikt, sondern den besonnenen Kompromiss. Die Märkte befrieden uns, aus Kriegern werden Konsumenten und Händler. Die frohe Botschaft kam sehr gut an: Das Buch avancierte in Windeseile zum weltweiten Bestseller, wurde in 25 Sprachen übersetzt und verkaufte sich über zwei Millionen Mal. Gerade noch rechtzeitig. Denn kurz darauf brach der Erste Weltkrieg los, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.
So naiv wie vor 100 Jahren
Es folgten: eine Abschottungsspirale als falsche Antwort auf eine Weltwirtschaftskrise, Faschismus, Kommunismus und ein noch viel verheerenderer zweiter Weltkrieg. Angells Überzeugung hat sich selbst als „große Illusion“ erwiesen. Nicht etwa, weil seine einfache Modellrechnung falsch gewesen wäre. Sondern weil irrationale Politik über die ökonomische Vernunft triumphierte.