Die Zeit des Trabis ist vorbei - doch die Teilung zwischen Ost- und Westdeutschland ist immer noch irgendwie da.

Wo die AfD "Revolution" machen will

Mauer, Zäune, DDR - das alles ist lange Vergangenheit. Doch dass Ostdeutschland anders tickt, ist nicht nur Klischee. Eine Spurensuche anlässlich der Wahlen in Sachsen und Brandenburg. Und 30 Jahre nach dem Mauerfall.  Ein Dossier von Jürgen Streihammer mit Elementen von Marlies Eder, Herbert Asamer und Klemens Patek

Es ist so etwas wie ein Naturgesetz: Die Wahlen im ostdeutschen Brandenburg gewinnt die SPD, die in Sachsen die CDU. So war das immer seit der Wende. Doch am Sonntag wackelte der erste Platz für die SPD in Brandenburg. Die AfD war in den Umfragen gleichauf. Vorerst blieb es bei der gewohnten Ordnung, doch die AfD konnte in beiden Bundesländern massive Zugewinne für sich verbuchen. Und so wandern 30 Jahre nach dem Mauerfall die Blicke immer wieder über die ehemalige deutsch-deutsche Grenze. Es wird vermessen und bilanziert. Es wird nach den "blühenden Landschaften" gesucht, die Helmut Kohl versprochen hatte.

Und die gibt es. Man kann die letzten Jahre in den neuen Bundesländern als beispiellose Erfolgsgeschichte erzählen - kein Vergleich mehr zu den Zuständen der DDR und der Wendezeit Anfang der 1990er Jahre. Die neuen Bundesländer stehen auch besser da als ihre ehemaligen sozialistischen Bruderländer. Westdeutschland hinkt man aber weiter hinterher. Auch demografisch. Da und dort haben freilich die "Ossis" die Nase vorne. Zum Beispiel im Bildungssystem: Man denkt zwar an Bayern, aber am besten schneiden im Bildungsmonitor immer die Sachsen ab.

Trotzdem kämpft Ostdeutschland mit einem Imageproblem. Die Bilder von rechtsextremen Ausschreitungen haben sich tief ins allgemeine Gedächtnis gebrannt. Rechtsextremismus ist zwar ein bundesweites Problem, aber in Ostdeutschland ist es tatsächlich größer, wie die Zahlen zeigen.

Die Negativschlagzeilen verdecken, was der Osten zu bieten hat. Görlitz zum Beispiel halten viele für die schönste Stadt Deutschlands. Es ist aber auch eine AfD-Hochburg und unglücklicherweise die Heimat von CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, der dort um sein Direktmandat kämpft. Kretschmer läuft und läuft und läuft. Er redet und redet und redet. Auf einer Wahlveranstaltung in seiner Heimat ist er der letzte Gast. „Die Presse“ hat dort für eine Reportage mit ihm gesprochen. Er ärgerte sich über die Klimadebatte.

Genervt vom „Ossi"-Dasein

Es gibt Experten, die sagen, „Ostdeutschland" gibt es gar nicht. Es gebe die überalterten, abgehängten Regionen. So wie den Landkreis Görlitz. Und dann gebe es Orte wie Leipzig. Die Stadt boomt. Und ihr Oberbürgermeister zählt zu den lautesten Stimmen gegen Rechts. Inzwischen steht er unter Polizeischutz. Im Interview nimmt er sich trotzdem kein Blatt vor den Mund und erzählt, warum es ihn nervt,  immer den „Ossi" erklären zu müssen.

Dabei ist er selbst keiner. Wie viele Bürgermeister und Firmenchefs kam er aus dem Westen. Nach der Wende. Die Klage über den „Ausverkauf des Ostens“ begleitet einen auf dem Streifzug durch Sachsen.  Es dauert meistens nicht lang, da wird auch über die „Treuhand“ geschimpft. Die „Treuhand" hatte die marode DDR-Wirtschaft privatisiert und abgewickelt. Lange verjährt? Mitnichten. Das Treuhand-Thema ist keine Narbe, sondern eine offene Wunde. Und die AfD bohrt darin. Dabei ist die Geschichte der „Treuhand" viel komplizierter.

Bleibt die Frage: Ist frei nach Willy Brandt, um einen weiteren Ex-Bundeskanzler zu zitieren, zusammengewachsen, was zusammengehört? Vielleicht. „Aber es wäre völlig naiv zu meinen, dass die Unterschiede schnell verschwinden“, sagt der bekannte ehemalige Bürgerrechtler und Pfarrer Frank Richter im Interview. Aber er fragt auch: „Wäre das schlimm?“


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