Deutschland: Fünf Lehren aus der Wahl im Osten

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Warum Ostdeutschland zu „Kenia“ werden könnte, die grünen Bäume nicht in den Himmel wachsen und die AfD zur Volkspartei geworden ist. Eine Analyse.

Berlin. Am Gillamoos-Volksfest in Bayern wird dick aufgetragen. Die politische Klasse misst sich in Fernduellen mit Pointen und kernigen Sagern. Das war schon immer so. Und Juso-Chef Kevin Kühnert pflegte die Tradition, als er gestern die Entwicklungen in Ostdeutschland mit einem „Autounfall“ verglich, an dem „alle vorbeifahren und traurig sind, was da passiert ist“. Kühnert klagte dieses „politische Gaffertum“ an. Der „Autounfall“ sollte bildlich für die Rekordzuwächse der AfD bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg stehen, wo die Rechtspopulisten 27,5 bzw. 23,5 Prozent erzielten und Platz zwei eroberten.

1. Die Frage nach dem Umgang mit der AfD wird die CDU begleiten.

Am Montag zieht CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) noch einmal eine dicke rote Linie. Kann man die AfD wirklich ausgrenzen, die in Sachsen jeder Vierte gewählt hat? „Ja, wir können“, sagt AKK in der ARD. Keine Kooperation mit der AfD, nirgends: Das ist die Losung, die sie ausgegeben hat. Denn der Befund ist aus Sicht der Parteichefin glasklar: Dass die CDU in Sachsen trotz hoher Verluste Platz eins verteidigt hat, lag zuallererst an Ministerpräsident Michael Kretschmer, an seinen hohen Beliebtheitswerten, aber auch daran, dass er der Versuchung widerstanden hat, sich der AfD anzunähern.

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Kretschmer schließt jegliche Kooperation mit der AfD aus. An der Basis in Sachsen finden das nicht alle gut. Und in Sachsen-Anhalt gingen heuer CDU-Politiker mit einem Papier an die Öffentlichkeit, das das „Soziale mit dem Nationalen“ versöhnen will. Die Front gegen die AfD bröckelt dort.

Kurskorrektur verlangt. Die Verluste vom Sonntag werden die CDU noch beschäftigen. Der konservative Parteiflügel meldete Redebedarf an. Auch der liberale CDU-Landeschef in Schleswig-Holstein, Daniel Günther, drängte auf eine Kurskorrektur. Die CDU steckt in einem Dilemma: Im Westen machen ihr die Grünen Platz eins streitig, im Osten die AfD.

2. Die AfD ist im Osten Volkspartei

Der Blick auf die politische Landkarte macht sicher: Die AfD ist jetzt Ost-Volkspartei. In Brandenburg wurde sie stärkste Kraft rechts der Mitte – eine Zäsur für das Bundesland. In Sachsen färbten sich ehemals tiefschwarze Landstriche blau. Nur die Stimmen der Frauen und Senioren verhinderten dort Platz eins für die AfD. Bei den Männern und selbst den jungen Wählern hatte die AfD die Nase vorn.

Viele blaue Hochburgen lagen im Osten des Ostens, in den strukturschwachen Gebieten, etwa an der Grenze zu Polen. Die AfD mobilisierte Nichtwähler: Das Thema Zuwanderung zieht noch immer. Die AfD saugte auch einen Teil des Unmuts über eine empfundene Westdominanz auf: Rund zwei Drittel der Sachsen sagten in Nachwahlbefragungen, sie fühlten sich noch immer als Bürger zweiter Klasse – ein ernüchternder Wert zum 30. Jubiläum des Mauerfalls.

3. Die Parteienlandschaft wird instabil, Dreierkoalitionen sind die Regel

Die Parteienlandschaft ist in Bewegung geraten. Wie in bundesweiten Umfragen hat die Große Koalition in Brandenburg und Sachsen ihre rechnerische Mehrheit verspielt. Dreierbündnisse dürften zur Gewohnheit werden. Der Osten könnte nun nach „Kenia“ aufbrechen. In Sachsen-Anhalt hatte die Stärke der AfD und der Linkspartei die CDU schon in ein solches „Kenia“-Bündnis mit SPD und Grünen gezwungen.

In Brandenburg kann SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke zwischen „Kenia“ und Rot-Grün-Rot wählen. In Sachsen hat Kretschmer kaum eine andere Wahl als „Kenia“, falls er an seinem Nein zu einer Minderheitsregierung festhält. 90 Prozent seiner Basis, schätzte Kretschmer vor der Wahl, wollten aber „partout“ keine Koalition mit den Grünen. Er zählte sich selbst dazu. Am Montag klang das anders. Aber ein Spaziergang wird es nicht nach „Kenia“.

4. Die Grünen und das Klimathema ziehen im Westen besser

Die Grünen, in Koalitionsfragen von höchster Flexibilität, sind jetzt auch im Osten ein Machtfaktor. Ohne sie lässt sich kaum noch regieren. Bei der Wahl legten sie zu. Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Grüne Werte jenseits der 20-Prozent-Marke, wie im Westen, sind im Osten Tagträumerei. Auch das Klimathema bewegt hier nicht im selben Ausmaß.

5. FDP und Linkspartei stecken in schweren Krisen

Es gab Zeiten, da wurde FDP-Chef Christian Lindner in einem Atemzug mit Sebastian Kurz und Emmanuel Macron als Vertreter einer neuen aufstrebenden Politikergeneration genannt. Doch damit ist es vorerst vorbei. Die FDP kommt bundesweit nicht vom Fleck. Nie hat sie sich von ihrer Absage an eine Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen im Herbst 2017 erholt. In der Klimadebatte hat man schlechte Presse. Und im Osten bekommt die FDP keinen Fuß auf den Boden. Die Gesellschaft polarisiert sich um Grüne und AfD.

Darunter leidet auch die Linke, die im Osten ihren Volksparteistatus verspielt hat. Viele Proteststimmen wanderten wieder von ganz links nach ganz rechts, zur AfD. Vielleicht auch, weil die Linkspartei jetzt selbst zum „Establishment“ zählt. In drei der sechs ostdeutschen Länder, inklusive Berlin, regiert sie derzeit mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2019)

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